Eine Schande für die Welt

(c) APA/EPA/NIAID
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Vor zehn (!) Monaten ist die tödliche Seuche Ebola in Westafrika ausgebrochen. Doch immer noch steigen die Infektionen exponentiell an. Das kollektive Versagen schreit zum Himmel.

Die Statistiker der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verzeichnen die epidemiologische Woche 41. Seit Dezember verbreitet sich Ebola in Westafrika. Doch die Seuche ist noch immer außer Kontrolle. Derzeit sind mehr als 8000 Infektionen und rund 3900 Tote bekannt; die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. Und die Anzahl der Ansteckungen steigt exponentiell an. Unlängst schockierte die US-Seuchenbehörde: Bis Ende Jänner könnten 1,4 Millionen Menschen infiziert sein – im schlimmsten Fall, wenn die internationale Gemeinschaft bis dahin nicht endlich handelt.

Es ist beschämend, wie fahrlässig und unzulänglich die Welt bisher auf Ebola reagiert hat. Die WHO hat die Dramatik zu spät erkannt, eine Folge eklatanter Unfähigkeit und ausgedünnter personeller Ressourcen, wie Insider berichten. Man dachte, der Ebola-Ausbruch werde sich, so wie die 20 Male zuvor, schon irgendwie in Luft auflösen. Doch diesmal waren eben auch Hauptstädte betroffen, in Liberia, Guinea und Sierra Leone. Monatelang verhallten die Hilfsappelle von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen ungehört. Ihre bewundernswert mutigen Mitarbeiter stehen bis heute nahezu allein an der Front. Es fehlt an allen Ecken und Enden: 2930 Behandlungsbetten wären etwa in Liberia nötig, es sind aber nur 620 vorhanden. In herzzerreißenden Szenen müssen Helfer täglich Patienten abweisen und manchmal zusehen, wie sie im Straßengraben verrecken.

Freiwillige Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger werden dringend gesucht. Die vom Virus befallenen westafrikanischen Staaten waren schon vor der Epidemie drastisch unterversorgt: In Liberia etwa gab es ohnehin nur rund 50 ausgebildete Ärzte für vier Millionen Einwohner. Und jetzt kommt noch dazu, dass Ebola unter medizinischem Personal einen besonders hohen Tribut gefordert hat. 95 Mitarbeiter liberianischer Spitäler sind bisher an der Epidemie gestorben. Das reißt unvorstellbare Löcher in ein Gesundheitssystem, das diesen Namen nie verdient hat.

Eine Seuche wie Ebola ließe sich eigentlich rasch isolieren, würden hygienische Standards eingehalten. Die Krankheit wird nicht so leicht wie Grippe übertragen. Man muss schon direkt mit Körperflüssigkeiten in Kontakt kommen: mit Blut, mit Schleim, Samen, Urin, Fäkalien. Deshalb ist auch die Panik, dass sich die Krankheit massiv auf Europa und die USA ausweiten könnte, vor allem eines: peinlich. Sobald Ebola in Österreich auftauchte, was mangels direkter Flugverbindungen nach Liberia, Sierra Leone und Guinea unwahrscheinlich wäre, könnte es schnell getilgt werden. Aber wenigstens hat die Hysteriewelle nach ersten Infektionsfällen in den USA und Spanien die Regierenden zum Handeln getrieben.


Angstlust der Reichen. Bekämpft werden muss die Krankheit an ihrer Wurzel in Westafrika, und zwar weitaus energischer als bisher. „Wir müssen unsere Anstrengungen verzwanzigfachen“, sagt UN-Chef Ban Ki-moon bei jeder Gelegenheit. Die Welt wacht auf, aber viel zu langsam. Die oft geschmähten USA haben wieder einmal als Erste Verantwortung übernommen, 4000 Soldaten sind nach Westafrika unterwegs, um Behandlungszentren aufzubauen. Über die Maßen engagiert sind auch die Klassenfeinde aus China und auch aus Kuba, das 165 Ärzte entsendet. Sogar das bitterarme Osttimor gibt zwei Millionen Dollar. Doch von der einen Milliarde Dollar, zu der die UNO in der Schlacht gegen Ebola aufgerufen hat, ist erst ein Viertel eingegangen. Viele reiche Länder fürchten sich lieber, als zu helfen. Die EU kommt erst jetzt in die Gänge, gibt nun immerhin mehr als 180 Millionen Euro, wälzt aber sonst vor allem Evakuierungspläne für Europäer in Afrika, als ob das am wichtigsten wäre. Und Österreich? Abseits des EU-Scherfleins hat die Regierung 200.000 Euro für Schutzanzüge und medizinische Ausbildung lockergemacht. Das ist zu wenig.

Die österreichische Ehre retten fünf Helfer in Westafrika, die ihr Leben riskieren, um andere zu retten. Vor ihnen kann man den Hut gar nicht tief genug ziehen.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2014)

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