Kein Strom für meine Nachbarn

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Was ein Paradebeispiel der Energiewende sein könnte, verbietet Österreich per Gesetz. Wer Strom erzeugt, darf seine Nachbarn nicht beliefern. Auch zum Schutz etablierter Versorger.

Achtzigtausend Kilowattstunden in nur sechs Monaten!“ Heinz Felsner strahlt über das ganze Gesicht, während er auf dem Wellblechdach seiner Werkshalle im Westen Wiens steht und stolz mit technischen Daten seines Lieblingsprojekts um sich wirft: zig hochmoderne Solarpaneele, 100 Kilowatt maximale Leistung, so ausgerichtet, dass sie die Morgen- und Abendsonne nutzen, weil die Stromnachfrage zu Mittag nicht mehr so groß ist. Kein Zweifel, es ist eine Fotovoltaikanlage auf dem neuesten Stand der Technik, die mehr sauberen Strom produziert, als der frühere Siemens-Manager mit seiner Fabrikshalle je selbst verbrauchen könnte.

Doch Felsner ist ein findiger Geschäftsmann und hat längst Abnehmer für seine Elektrizität parat: Das Auhof-Center, ein neu errichtetes Einkaufszentrum am Rand des Wienerwaldes, liegt nur wenige Meter von ihm entfernt, die Werkshalle eines Textilhändlers grenzt gar direkt an seine eigene Fabrikshalle an. Beide würden ihm den sauberen Strom gern abnehmen. Das Einkaufszentrum am liebsten am Wochenende, wenn Felsners Werk ohnedies ruht und keinen Strom verbrauchen kann.


Gute Idee oder Sicherheitsrisiko? Es könnte ein Paradebeispiel der Energiewende werden: sauberer Strom, der vor Ort erzeugt und auch gleich vor Ort verbraucht wird, ohne die überlasteten Netze weiter zu strapazieren.

Das Problem: In Österreich ist das per Gesetz ist verboten. Drei Mal hat sich Felsner, der auch im Universitätsrat der Medizinischen Universität Graz sitzt, im heurigen Jahr bereits mit seinem Ansinnen an den Landesversorger Wien Energie gewandt. Drei Mal hat er eine Absage erhalten. „Ich darf meine Nachbarn einfach nicht mit Strom beliefern“, ärgert sich der Berater. Alle technischen Forderungen der Wien Energie habe er schnell umsetzen können, doch dann zauberten die Juristen des landeseigenen Stromkonzerns den richtigen Gesetzesparagrafen aus dem Hut. Gemäß Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWOG) sei es Privaten verboten, ihren Nachbarn selbst erzeugten Strom zu liefern. Eine derartige „Privatleitung“ sei ein „erhebliches Sicherheitsrisiko“, heißt es im dritten Ablehnungsschreiben.

Allein, so groß kann das Risiko gar nicht sein. Denn bis ins Jahr 2006 waren derartige Stromlieferungen von Privaten an Private noch problemlos erlaubt. Und würde Heinz Felsner etwa die Nachbarhalle des Textilhändlers selbst zukaufen, könnte er sie wie selbstverständlich mit eigenem Strom versorgen.

Grüner Strom zum Diskontpreis. Der Wahlschweizer ist nicht allein. Österreichweit gibt es hunderte Industriebetriebe, die sich (auch gelockt von hohen Förderungen) großzügige Solaranlagen auf ihre Dächern installieren ließen und nur zu gern die Betriebe in ihrer Nachbarschaft mit grünem Strom beliefern würden.

Doch selbst innerhalb von Wohnhausanlagen hat der Gesetzgeber einige Hürden eingebaut: Schraubt der Hauseigentümer etwa eine Solaranlage auf das Dach, darf er seinen Mietern den Ökostrom nur schenken, nicht aber verkaufen, kritisiert Hans Kronberger, Präsident des Branchenverbands Photovoltaic Austria. Das sei nur dann möglich, würde der Hausbesitzer auch eine Konzession als Energieversorger erhalten.

Diese Bestimmungen seien „in den Jahren Schritt für Schritt“ von den eingesessenen Elektrizitätsunternehmen in das Elektrizitätswirtschaftsgesetz hineinreklamiert worden, sagt der frühere FPÖ-Politiker. „Um ihr Liefermonopol zu schützen.“

Schützenswert ist das Geschäft mit dem dezentral erzeugten Strom allemal. Solange jeder Besitzer einer Ökostromanlage alle Elektrizität, die er nicht selbst verbrauchen kann, ins öffentliche Netz einspeisen muss, sind den Energieversorgern zumindest in diesem Geschäft kräftige Renditen sicher. Vier bis sechs Cent bekommt Heinz Felsner für eine Kilowattstunde Solarstrom, die er einem Landesversorger verkauft. Gibt dieser den Strom an Felsners Nachbarn weiter, hat sich der Preis verdreifacht.

Kein Wunder, dass sich österreichweit vor allem viele klein- und mittelständische Unternehmen dafür starkmachen, diesen Mittelsmann in Zukunft umgehen zu dürfen. Auch für die Erneuerbaren-Branche wäre eine derartige Regelung eine Chance, endlich den Abschied von den staatlichen Förderungen zu schaffen. Derzeit stehen etliche Windkraftanlagen still, weil sie nach 13 Jahren keine überhöhten Einspeisetarife mehr erhalten. Dürften sie ihren Strom nicht nur an die großen Energiekonzerne, sondern etwa auch an die Supermärkte in ihrer Umgebung verkaufen, könnten viele von ihnen am Leben bleiben – ganz ohne Zuschuss.

„Hier geht ein großes Potenzial verloren“, ist Heinz Felsner überzeugt. Derzeit verbraucht er knapp 40 Prozent des selbst erzeugten Stroms selbst. Dürfte der Berater den Ökostrom an Private weiterverkaufen, würde dieser Anteil locker auf 80 Prozent steigen.


Ministerium verhandelt. Das zuständige Wirtschaftsministerium verteidigt den Passus, der erst im Jahr 2006 ins Elektrizitätswirtschaftsgesetz aufgenommen wurde. Mit dem Verbot von Privatleitungen sollten „unwirtschaftliche Parallelstrukturen verhindert“ werden, heißt es aus dem Ministerium. Außerdem würden die Netzgebühren für den Einzelnen stark steigen, wenn sich immer mehr auf ihre Strominseln zurückziehen würden.

Dass die geltende Rechtslage dem politischen Wunsch nach einer Energiewende zuwiderläuft, hat aber auch Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) erkannt. Seine Beamten verhandeln mit den Ländern und dem Regulator E-Control über das weitere Vorgehen. Es sei jedoch klar: Die Nutzung von selbst erzeugtem Strom müsse erleichtert werden.

Fakten

PV-Anlagen mit einer maximalen Leistung von 262,6 Megawatt wurden 2013 in Österreich installiert. In Summe beträgt die installierte Leistung damit 626 Megawatt.

In Summe erzeugten alle heimischen Fotovoltaikanlagen im Vorjahr 626 Gigawattstunden Strom und reduzierten den CO2-Ausstoß des Landes um 227.416 Tonnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2014)

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