Ukraine: "Waffenträger sind populär geworden"

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"Presse"-Interview. Der ukrainische Rechtsextremismus-Forscher Anton Schechowtsow über die Militarisierung der Politik und die prorussische Propaganda.

Die Presse:Auf aussichtsreichen Listenplätzen praktisch aller Parteien – ausgenommen sind nur die Nachfolgeprojekte von Viktor Janukowitschs Partei der Regionen - finden sich viele Kommandanten von Freiwilligenbataillonen und andere Personen mit Militärhintergrund. Warum wollen die Parteien mit Soldaten punkten?

Anton Schechowtsow: Das ist ein populistisches Moment. Die Bevölkerung goutiert die Kampfhandlungen mehrheitlich, es findet eine Glorifizierung des Militärs statt, Waffenträger sind populär geworden. Wenn eine Partei Militärpersonen auf ihren Listen hat, bringt das Vorteile in der Wählergunst: So kann man zusätzliche Stimmen bekommen. Der Populist Oleh Ljaschko hat das vorgemacht, andere Parteien sind nachgezogen. Das Niveau des Parlaments wird darunter leiden. Die Gesetzgeber im Parlament müssen Profis sein, und Militärpersonen sind keine Profis im Gesetzgebungsprozess. Wenn sie Soldaten sind, sollten sie sich mit Krieg oder Kampftechniken beschäftigen. Im Parlament haben sie nichts zu suchen.

Könnten die Bataillone künftig noch ein destabilisierender Faktor werden, etwa wenn sich die politische Krise zuspitzt?

Formal sind sie dem Innenministerium untergeordnet, aber real können sie die Lage destabilisieren. Die Mitglieder der Bataillone sind bewaffnet, viele dieser Leute teilen kein demokratisches Grundverständnis. Das trifft insbesondere auf das Asow-Bataillon zu, das aus der Sozial-Nationalen Versammlung (SNA), einer Neonaziorganisation, gegründet wurde. Auch das Bataillon Kiew-2 ist so ein Beispiel: Es nimmt zwar nicht an der Antiterror-Operation im Osten teil, sondern patrouilliert in Kiew. Dort gibt es viele Mitglieder von C14, dem bewaffneten Flügel der Partei Swoboda. Diese Leute stellen eine ziemlich ernste Bedrohung für demokratische Prozesse in der Ukraine dar.

Wie kann man die Bataillone künftig integrieren?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Asow umfasst 800 Leute, nicht alle sind SNA-Mitglieder. Gehen die Kämpfe im Donbass weiter, ist es natürlich gut, sie an der Front zu haben. Wenn sie die Ukraine lieben, sollen sie für sie kämpfen. Aber sie in die Politik zu lassen, ist meiner Ansicht nach gefährlich. Sie überhaupt nicht zu integrieren, würde bedeuten sie auf der Straße zu lassen – das hätte auch negative Folgen. Wir sind in einem Dilemma.

Im Internet sind in den vergangenen Monaten zahlreiche Clips aufgetaucht, in denen Bataillonsmitglieder Gefangene misshandeln und sie verhören. Warum tun sie das?

Als die Kampfhandlungen mit der Besetzung der Krim Ende Februar begannen, waren die Ukrainer weder materiell noch psychologisch vorbereitet. Die ukrainische Soldaten erlitten zuallerst eine  psychologische Niederlage, weil sie in den vergangenen 20 Jahren nie gekämpft haben. Ich glaube nicht, dass die Menschenrechtsverletzungen absichtlich passieren. Die Beteiligten wissen es einfach nicht besser. Niemand hat ihnen erklärt, was man mit Gefangenen machen darf, und was nicht. Die Leute, die sich den Bataillonen anschlossen, sind keine professionellen Soldaten. Aber Menschenrechtsverletzungen müssen natürlich verfolgt werden und die Täter bestraft werden.

Die prorussische Seite setzt stark auf sowjetisch anmutende Propaganda: In Kiew sei ein Putsch passiert, von Faschisten ist die Rede. Woher rührt das? 

Man verwendet Symbole und Sprüche aus dem Zweiten Weltkrieg und suggeriert, dass es eine Kontinuität zwischen den Nazis von früher und den „Faschisten in Kiew“ gibt. Es ist ein Standardmotiv in der russischen Propaganda seit den 1990er-Jahren. In Transnistrien, als die 14. Armee auf Seiten der Transnistrier kämpfte, haben sie die Moldauer des Genozids an den Russen in Transnistrien beschuldigt. Wenn man sich Russlands Konflikte seit den 1990ern ansieht, bemerkt man diese antifaschistische Mythologie. Der Konflikt im Donbass gleicht dem Transnistrien-Konflikt, ja, es nehmen sogar ähnliche Personen teil. Wladimir Antjufeew, seit Sommer einer der Führer der „Donezker Volksrepublik“, ist ein Ex-Sicherheitsminister von Transnistrien. Auch das Transnistrien-Szenario wiederholt sich im Osten der Ukraine: die Schaffung eines eingefrorenen Konflikts.

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