Analyse: Wilde Attacken mit der Ölwaffe

(c) Bloomberg (Eddie Seal)
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Westen gegen Russland oder Saudiarabien gegen USA? Der rasante Ölpreisverfall nährt wilde Verschwörungstheorien. Fest steht: Rohöl dürfte auf Jahre weniger als 100 Dollar kosten.

Der geradezu dramatische Ölpreisverfall, der das schwarze Gold auf den Weltmärkten seit dem Sommer um annähernd 25Prozent verbilligt hat, ging auch diese Woche weiter: Ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Ölsorte Brent kostete am Dienstag nur noch rund 87,5 Dollar. Bis vor Kurzem waren noch dreistellige Preise die Regel gewesen, Experten hatten für die kommenden Jahre Ölpreise von 150 Dollar und mehr vorausgesehen.

Jetzt gehen Fachleute davon aus, dass der Ölpreis noch bis in die Gegend von 75 Dollar sinken könnte und jedenfalls die nächsten vier Jahre unter der 100-Dollar-Marke verweilen wird. Was einigermaßen erstaunlich ist: Zwar ist die globale Nachfrage nach dem fossilen Energieträger derzeit konjunkturbedingt eher schwach, aber nicht wenige wichtige Förderstaaten – von Russland über Nigeria bis zum Irak – sind von geopolitischen Krisen betroffen. Normalerweise ist das die Garantie dafür, dass die Ölnotierungen sofort in lichte Höhen schießen.

Dass diesmal exakt das Gegenteil eintritt, nährt wüste Spekulationen. So deutete etwa der frühere russische Finanzminister Alexej Kudrin in einem TV-Interview an, Saudiarabien und die USA hätten sich verschworen, um Russland per gedrücktem Ölpreis in die Krise zu stürzen. Eine Art versteckte Zusatzsanktion sozusagen. Eine Theorie, die auch in linken westeuropäischen Zirkeln immer mehr Anhänger findet.

Tatsächlich ist Russland an dieser Flanke extrem verwundbar: Der Anteil der Ölexporterlöse an den Staatseinnahmen ist sehr hoch. Und Ölförderung ist in Sibirien vergleichsweise teuer. Bei Ölpreisen unter 90 Dollar machen die Russen nicht nur kein Geschäft mehr, sondern müssen auch noch ihren aufgehäuften Reserven beim Dahinschmelzen zusehen.

Allerdings gibt es selbst in Russland auch andere Theorien. Der Chef des russischen Ölindustrieverbandes, Rustam Tankajew, wird von RIA Novosti beispielsweise mit der Bemerkung zitiert, Russland sei zur „Geisel“ eines Kampfes zwischen Saudiarabien und den USA geworden: Die Saudis würden die Preise dumpen, um den Amerikanern die Schieferölproduktion abzudrehen. Die sei den Arabern nämlich extrem unangenehm, weil sie sie Weltmarkanteile koste. Schieferöl lasse sich aber unter 89 Dollar je Barrel nicht mehr wirtschaftlich fördern.

Tatsächlich liegt der Schlüssel der Entwicklung bei Saudiarabien: Der mit 9,7 Mio. Barrel Tagesproduktion größte Opec-Erdölförderer verunsichert den Markt seit Wochen mit dem Angebot hoher Rabatte. Und er hat seine Regulatorfunktion aufgegeben: Normalerweise senken die Saudis ihre Produktion, wenn der Ölpreis unter 100 Dollar fällt. Diesmal haben sie die Förderung sogar erhöht.

In Saudiarabien wird Öl zu vergleichsweise niedrigen Kosten aus dem Boden geholt. Und die Saudis haben aus ihren Öleinnahmen 750 Mrd. Dollar auf die hohe Kante (beziehungsweise in einen Staatsfonds) gelegt. Sie können niedrige Preise also sehr lange durchhalten. Saudiarabien hat über informelle Kanäle jedenfalls schon gestreut, dass die Marktmeinung, das Land brauche zur Finanzierung seines Haushaltes einen Ölpreis von mindestens 100 Dollar, falsch sei und dass man sich durchaus vorstellen könne, zwei, drei Jahre auch mit 80 oder 90 Dollar auszukommen.

Vom Markt selbst kommt so bald jedenfalls kein Preisdruck: Die Internationale Energieagentur hat ihre Nachfrageprognose auf 93,5 Mio. Barrel pro Tag gesenkt – und das ist deutlich weniger als die Produktion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2014)

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