"Römische Tragödien": Nah am Schminktisch Cleopatras

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Ivo van Hoves „Römische Tragödien“ sind ein Triumph für Schauspieler und Regie. So nah kommt das Publikum William Shakespeare nur selten.

Sechs Stunden „Römische Tragödien“ hatten am Freitag im Museumsquartier Premiere, sie vergingen wie im Nu, ließen die Zuseher atemlos zurück. Der bisherige Höhepunkt der Wiener Festwochen: Ivo van Hoves niederländische „Toneelgroep“ spielt im modernen Outfit drei schwierige Stücke: „Coriolanus“, „Julius Caesar“ und „Antony and Cleopatra“, höllisch verdichtet, auf Holländisch mit deutschen Untertiteln.

Wie kann das gutgehen? Es wird zum Triumph, weil eine perfekte Schauspieltruppe und ein intelligenter Regisseur geben, was Shakespeare interessant macht. In gewisser Weise ist diese Römer-Serie trotz zeitgemäßer Inszenierung ein historischer Abend. Sie berücksichtigt die Aufführungspraxis des 17.Jahrhunderts in bester Tradition. Es stört überhaupt nicht, dass diese Römer als Heuschrecken-Manager in Business-Anzügen auftreten, dass ihre Stadt aus grauen Sitzgruppen besteht, die umgedreht zu TV-Studios werden, dass die Lampen den Charme einer Lounge am Flughafen von Amsterdam haben (Bühne und Licht: Jan Versweyveld). Man ist von Anfang an mittendrin und zittert sogar mit Coriolans harter Mutter Volumnia (Frida Pittoors).

Prächtige Barockopern, die sich über Stunden ziehen, können qualvoll sein, wenn sie vom Zuseher romantisches Stillsitzen im Zustand der Anbetung fordern. Dafür waren diese bunten Nachmittage bei Hofe und auch elisabethanische Stücke, bei denen sich ganz London traf, nicht gedacht; man unterhielt sich, aß, trank, machte Geschäfte. Nur bei Arien oder Monologen waren die meisten ganz bei der Sache. Ansonsten hieß es: stundenlange Lustbarkeit.

Diese Situation hat auch van Hove nachgestellt und geht darüber hinaus. Das Publikum ist angehalten, sich frei zu bewegen. Die „Römischen Tragödien“ ereignen sich in einem Transitraum, es könnte eine Abflughalle oder ein Medienzentrum sein. Wie auf Inseln spielen die Dramen, die Zuseher dürfen an die Bar, an Internet-Terminals, um dort Botschaften auf das Laufband zu schreiben, sind dabei, wenn Cleopatra (Chris Nietvelt) geschminkt wird oder eine Regieassistentin Marc Anton (Hans Kesting) zum gut getimten Auftritt begleitet.

Politik versagt, Intrige siegt

Das alles spielt sich in höchster Konzentration ab, man wandelt bis hinter die Bühne und wird so doppelt belohnt. Allein an den Reaktionen des Publikums erkennt man, in welchem Stadium sich die Tragödien befinden, kann auch beobachten, wie Zwischenspiele durch einen Spaziergang verarbeitet werden, weiß dann zum Beispiel, dass im Publikum Andreas Vitasek bei den großen Auftritten von Antony und Cleopatra wie in Trance verharrt, dass Intendant Luc Bondy nach dem ersten Umbau ins Freie flüchtet.

Die demagogische Rede des Marc Anton an der Leiche Caesars (Hugo Koolschijn) entfaltet hier allergrößte Wirkung: Sie ist so wie alle Schlüsselszenen als TV-Auftritt inszeniert. „God, I'm glad I'm not me!“, wird anfangs plakativ Bob Dylan zitiert. Das gilt hier vor allem für den „homo politicus“. Der Mensch spaltet sich in privat und öffentlich, das erst schafft die mörderischen Konflikte.

Die mediale Ebene gibt den sechs Stunden Rasanz. Während der Umbauten läuft ein Countdown wie bei Fernsehsendungen, Ansagen und Laufband informieren, dass Coriolan (Fedja van Huet), der das Volk verachtende, Rom an die Volsker verratene Kriegsheld, noch fünf Minuten zu leben habe, dass Ägyptens betörende Pharaonin Cleopatra, die noch gar nicht lebt, sich erst nach 200 Minuten von der giftigen Viper totbeißen lassen werde, weil sie die Schande nicht erleben will, dass der siegreiche Octavius (Hadewich Minis) sie beim Triumphzug in Rom als Kriegsbeute vorführen möchte.

Die vielen Toten werden mit grob gerasterten Standfotos gewürdigt, etwa „Marcus Brutus. 85–42 v. Chr.“ liest man da nach der Schlacht von Philippi, mit einer geisterhaften Großaufnahme vom toten Caesar im Hintergrund (Video: Tal Yarden). Kein Blut ist zu sehen, die Sterbenden legen sich still auf eine Bahre, das macht die Tragödie noch eindrucksvoller. Auch der Krieg ist streng stilisiert. „Bürgerkrieg“ heißt es auf dem Laufband, wenn Politik versagt, Intrige siegt. Dann wird im Graben zwischen der tiefen, das Imperium repräsentierenden Bühne und dem Circus Maximus des Zuseherraumes getrommelt, dass die Halle bebt.

Rasante Aufführung mit maßlosem Finale

Am prägnantesten ist eingangs der „Coriolan“ geraten, dieser Bruch um 500 v. Chr., als Rom sich daranmacht, Italien zu erobern und seine Struktur zu ändern. Mit gleicher Brutalität wie die Feldzüge gegen die Volsker wird auch der Streit zwischen Plebejern und Patriziern geführt. Ganz unverbraucht sind hier noch die medialen Effekte, die den Abend prägen. Sie finden ihre stimmigsten Momente im mittleren Stück; der monokausale „Julius Caesar“ ist ideal gebaut, um die Mechanik der Politik verständlich zu machen. Den schwierigsten Teil hat van Hove für den Schluss aufgehoben, „Antony and Cleopatra“ spielt im Bürgerkrieg 30 v. Chr. Hier mischt sich Privates und Öffentliches am brutalsten, hat der reife Shakespeare in einem seiner letzten Stücke der Sprache alles abverlangt. Wie der Nil überschwemmt die Liebe der Protagonisten alles Maß. Rom aber, dieses Sinnbild für Ordnung setzt sich durch. Auch van Hove ist im Finale maßlos.

Er nimmt das Tempo raus. Die Zuseher werden höflich gebeten, nach dem letzten Umbau die Bühne zu verlassen. Die Trauer der Cleopatra zieht sich bis kurz vor Mitternacht, poetisch schön, dunkel fließen die Worte. Das aber ist fast schon eine Überforderung, man kann es nur noch wie in Trance wahrnehmen, das Trauerspiel der Mächtigen und mächtig Liebenden. Großer Applaus nach einem gewaltigen Abend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2008)

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