Parasiten: Fremde Herren im Haus

Ratte auf einer Hand
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Viele Tiere werden auf spukhafte Weise von Parasiten gesteuert, uns kann es auch so ergehen, etwa durch ganz amikale Mitbewohner: Darmbakterien.

In den Savannen Afrikas bricht allabendlich der Irrsinn aus: Dann sind Ameisen auf dem Heimweg, aber manche biegen ab und klettern Grashalme hinauf, exakt in die Höhe, die von Rindern beweidet wird. In deren Mägen geht die Reise, denn dort müssen die hin, die die Ameisen in den Wahn treiben, parasitische Würmer, Dicrocoelium dendriticum. Die wandern zwischen drei Wirten: Sie legen ihre Eier in Rinder, irgendwann gehen sie mit dem Kot ab, über den machen sich Schnecken her. In ihnen reift der Parasit, dann lässt er sich wieder ausscheiden, diesmal mit Schleim, über welchen sich Ameisen hermachen.

In ihrem Gedärm reift die Brut und mehrt sich, dann müssen alle wieder ins Rind, deshalb opfert sich ein Wurm, er verzichtet auf Reproduktion, wandert aus dem Darm in den Schädel und übernimmt als „Hirnwurm“ das Kommando. Ähnlicher Spuk zeigt sich oft, manche Parasiten veranlassen Heuschrecken, ins Wasser zu springen, weil sie in Fische müssen, andere lassen Fische unvorsichtig werden, weil sie als nächste Wirte Vögel brauchen. Es graust einem vor solchen Zombies – auch wenn Richard Dawkins sie beruhigend „erweitere Phänotypen“ nannte –, gottlob gibt es die nur weit hinten in der Natur! Und unter Menschen geht allenfalls die fantasierte Furcht davor um, besessen zu werden, von bösen Geistern – in Matthäus 8, 28 trieb Jesus einige aus, in Rom füllen sie heute noch die Exorzismus-Seminare –, oder auch von kleinen schleimigen Wesen, die sich unvermerkt auf den Nacken setzen und das Gehirn steuern!

Den Plot entwarf Robert Heinlein in „Puppet Masters“ (1951), die Manipulatoren waren Außerirdische, aber leicht zu decodieren, Heinlein war Antikommunist, imaginierte sowjetische Gedankenkontrolle. Paranoia? Nicht nur, mildere Varianten gibt es durchaus, vielleicht gleich nebenan, beim Nachbarn mit seinen Katzen, oder gar bei einem selbst: Toxoplasma gondii ist ein Einzeller, den bei Menschen vor allem Schwangere fürchten müssen – er bringt Gefahr für die Föten –, und bei kleinen Nagern alle: Hauptwirt des Parasiten ist die Katze, in ihr vermehrt er sich, dann wird er ausgeschieden, muss in einen Zwischenwirt, etwa eine Ratte, und von ihr später wieder zurück.

In eine Ratte kommt er, wenn diese an Katzenkot knabbert. Dann ist sie bald nicht wiederzuerkennen: Ratten fürchten nichts so sehr wie den Geruch von Katzenurin, es steckt tief in den Genen, selbst bei Labortieren, die über Generationen nicht mit der Gefahr konfrontiert waren. Hat eine Ratte aber Toxoplasma im Leib, verliert sie die Furcht nicht nur, der Geruch zieht sie nun magisch an – bis ins Katzenmaul hinein. Das ist das Werk des Parasiten, man weiß es seit den 1990ern. Aber wie er es macht, das entschlüsselt Aja Nyas, Neurobiologe in Singapur, erst jetzt, Stück für Stück: Der Mechanismus ist ein epigenetischer, d.h. einer, bei dem die Aktivitäten von Genen erhöht oder vermindert werden, durch das Anhängen oder Entfernen etwa von Methylgruppen.


Epigenetischer Trick. Mit denen sorgen alle Zellen dafür, dass in ihnen nur die Gene aktiv sind, die in dem Zelltyp gebraucht werden, die anderen sind ganz oder partiell stillgestellt („silenced“). In Gehirnen gesunder Ratten methyliert – und deshalb nur schwach aktiv – sind etwa die Gene für Vasopressin, einen Neurotransmitter, der beim Lernen mitspielt. Ratten mit Toxoplasma jedoch haben stark erhöhte Gehalte, das bemerkte Nyas früher schon, nun deckte er den Mechanismus auf („Molecular Ecology“, 16.9.): Toxoplasma entfernt die Methylierungen der Rattengene, „desilenced“ sie. Einen ähnlichen Trick kennt man von Leprabakterien, er beschränkt ich auf Physiologisches – dient der Verbreitung der Erreger im Körper –, ins Verhalten greift er nicht ein.

Toxoplasma tut es, nicht nur bei Ratten, auch bei uns, und zwar geschlechtsspezifisch, Jaroslav Flegr (Prag) bemerkte es: Männer werden misstrauischer, Frauen vertrauensseliger („Biological Psychology“ 53, S.57). Die Effekte sind gering, sie fallen nicht weiter auf und richten wohl auch keinen Schaden an. Ganz anders ist das bei einer Manipulation, die umwegig Verhalten steuert: Auch Plasmodium falciporum, der Malariaerreger, pendelt als Parasit, zwischen Moskitos und Menschen: Ist er in einem Menschen und in dem Stadium, in dem er den Wirt wechseln muss, sorgt er dafür, dass der Körper einen Duft emittiert, der Moskitos anlockt, Renate Samlegange (Wageningen) hat es an infizierten und nicht infizierten Kindern in Kenia gezeigt: Die waren mit Moskitonetzen wohl geschützt, aber die Netze der Infizierten waren viel stärker umschwärmt (Plos One, e62602): Plasmodium im Menschen hebt den Blutdurst von Moskitos. Haben sie es dann selbst frisch im Leib, bremst Plasmodium ihre Sauglust, es muss sich vor dem nächsten Transfer auf Menschen erst in Ruhe entwickeln.

Mit allen Listen des Kriegs geht es also zu, aber auch ganz amikale Hausgenossen können uns dirigieren, die Bakterien im Darm. Die steuern aus der Ferne das Gehirn, zumindest bei Mäusen, Sven Petterson (Stockholm) hat es bemerkt: Mäuse ohne Darmbakterien – die gibt es in Labors, sie kommen per Kaiserschnitt zur Welt – sind neugieriger, und Mäuse mit bestimmten Bakterien – Lactobacillus rhamnosus – sind angst- und stressfreier. Beides läuft über Signale, die via Vagusnerv vom Darm in das Gehirn gehen und dort die Produktion des Neurotransmitters Gaba beeinflussen („Pnas“, 108, S.3047).

Und das ist nur ein Weg, Darmbakterien greifen bei vielem in uns ein, manche machen die Zunge empfindlicher für Süßes, andere regen im Gehirn den Appetit an – direkt mit Botenstoffen oder indirekt via Steuerung der Laune –, dritte sorgen im Darm dafür, dass Erwünschtes kommt, sie haben verschiedene Geschmäcker, bestellen bevorzugte Speisen, manche mögen Schleim aus der Darmwand, andere nicht („Bioessays“ 19.8.) „Sie sind manipulativ“, fasst Carlo Maley (UC San Francisco) zusammen und fürchtet, dass der vielstimmige Bakterienhunger in Summe der Gesundheit des Menschen schadet und etwa bei seiner Verfettung mitspielt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2014)

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