Lech gegen Lech – das ist Brutalität

(c) AP (Alik Keplicz)
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Polens Präsident Kaczynski und Friedens-Nobelpreis-Träger Walesa können sich nicht riechen.

WARSCHAU. Eine Million Zloty. So viel Geld ist Lech Walesa sein guter Ruf wert. Auf diese Summe, rund 300.000 Euro, will der polnische Expräsident jeden verklagen, der behauptet, er habe im kommunistischen Polen für den Geheimdienst gearbeitet. Eine ungeheuerliche Vorstellung: der Mann, der für seinen Kampf für die Freiheit den Friedensnobelpreis bekommen hat, soll die ganze Welt getäuscht haben und nichts weiter als ein hinterhältiger Lügner sein. Genau das aber behauptet niemand Geringerer als Lech Kaczynski, Polens jetziger Präsident.

In einem Fernsehinterview erklärte das Staatsoberhaupt vor einigen Tagen, hinter dem kommunistischen Agenten mit dem Decknamen „Bolek“ verberge sich Lech Walesa. Beweise für diese Behauptung werde er zuhauf liefern. In einem Buch, das kommenden Montag erscheinen wird, werde die „Wahrheit über gewisse Fragmente seines Lebens aufgedeckt“.

Peinliche Betroffenheit

In monatelanger Recherchearbeit in den Archiven des kommunistischen Staatssicherheitsdienstes wurden die angeblichen Beweise für die Zusammenarbeit Walesas mit dem verhassten Gemeindienst von zwei konservativen Historikern des Instituts für Nationales Gedächtnis zusammengetragen. Seit Jahrzehnten verbindet Walesa und Kaczynski eine gegenseitige Abneigung, die sich im Laufe der Zeit zu blankem Hass aufschaukelte. Immer wieder überziehen sie sich mit wüsten Schimpftiraden, die die meisten Polen inzwischen mit peinlicher Betroffenheit zur Kenntnis nehmen. Wer diesen Hass verstehen will, der muss in die jüngste Geschichte Polens zurückgehen.

Der Vorwurf, dass Walesa ein Spitzel sei, ist nicht neu. Schon in den 80er-Jahren, als der ehemalige Elektriker auf der Danziger Werft an der Spitze der Gewerkschaft Solidarnosc gegen das Regime kämpfte, wurde kolportiert, er sei vom Geheimdienst eingeschleust worden. Nach Ansicht Walesas eine Lüge der Kommunisten, um die Opposition zu schwächen.

Auch streitet der Expräsident nicht ab, mit dem Geheimdienst in Kontakt gekommen zu sein. Wie Tausende anderer habe er, der damals junge Familienvater, Anfang der 70er-Jahre nach den ersten Danziger Streiks unter Druck eine Erklärung unterzeichnet, nichts mehr gegen die herrschende sozialistische Ordnung zu unternehmen. Erst danach sei er aus der Haft entlassen worden.

Lech Walesas Verrat

Aber nicht diese Episoden aus dem Leben Walesas treiben den ehemaligen Solidarnosc-Anhänger Lech Kaczynski auf die Barrikaden. Er ist der Überzeugung, dass Walesa die wahren Werte des Kampfes gegen den Kommunismus verraten habe. Er macht ihm zum Vorwurf, dass Walesa sich Ende der 80er-Jahre mit den Kommunisten an einen Tisch setzte, um die Machtübergabe zu verhandeln. Anstatt das verhasste Regime mit Stumpf und Stiel auszurotten, habe er den alten Eliten mit ihren korrupten Seilschaften in neue Führungspositionen verholfen.

Ziel des Kampfes Kaczynskis und eines einflussreichen national-konservativen Zirkels ist es, diesen „historischen Fehler“ zu korrigieren. Sie wollen die korrupte „Dritte Republik“ in eine geläuterte „Vierte Republik“ überführen. Bisweilen scheint es aber, dass Kaczynski ahnt, dass das Volk inzwischen andere Interessen hat und ihm auf seinem Weg nicht folgen wird. Aber wenn er mit seiner Mission schon scheitert, dann will er wenigstens den Symbolen der verhassten Vergangenheit ihren Glanz nehmen: das leuchtendste unter ihnen ist Lech Walesa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2008)

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