"Dämpfer für viele Jahre Arbeit": Iren sagen "No" zum EU-Vertrag

(c) AP (Peter Morrison)
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Die Wähler haben gegen den neuen Reform-Vertrag gestimmt. Die EU-Kommission will, dass die Ratifizierung des Vertrags in den anderen Mitgliedsstaaten fortgesetzt wird.

Die Iren haben den EU-Reformvertrag abgelehnt. 53,4 Prozent der Iren stimmten mit Nein. Nur in neun Wahlkreisen stimmten die Wähler mit "Ja". In der Hauptstadt Dublin setzten sich die Vertrags-Befürworter mit 51 Prozent knapp durch. Besonders viele Nein-Stimmen gab es auf dem Land und in den Arbeiterbezirken der Städte. Die Beteiligung an dem Referendum lag bei rund 51,3 Prozent.

Festhalten am Reformwerk

Trotz der Enttäuschung über das Nein der Iren zum EU-Vertrag von Lissabon wollen die Regierungschefs der Europäischen Union an der Realisierung des Reformwerks festhalten. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso rief alle 27 Mitgliedstaaten zur gemeinsamen Suche nach einer Lösung auf.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy appellierten am Freitag an die EU-Partner, die Ratifizierung des Vertrages fortzusetzen. Großbritannien, Spanien und andere Länder kündigten bereits an, sie wollten an der Ratifizierung festhalten.

In einer in Berlin und Paris veröffentlichten gemeinsamen Erklärung äußerten Merkel und Sarkozy Respekt vor der Entscheidung der Iren, "obwohl wir sie sehr bedauern". Sie verwiesen darauf, dass 18 Mitgliedsstaaten den EU-Reformvertrag bereits gebilligt hätten. "Wir erwarten daher, dass die anderen Mitgliedsstaaten ihre innerstaatlichen Ratifizierungsverfahren weiterführen."

"Respektieren Ergebnis der Volksabstimmung"

Die Länder hätten den Vertrag gemeinsam unterschrieben und deshalb eine gemeinsame Verantwortung für dessen Verwirklichung, sagte Barroso in Brüssel. Die acht Staaten, die den Vertrag noch nicht ratifiziert hätten, sollten dies trotz der Ablehnung in Irland tun. "Als Befürworter des Vertrages hätte sich die Europäische Kommission ein anderes Ergebnis gewünscht", sagte Barroso. "Dennoch respektieren wir das Ergebnis der Volksabstimmung."

Beim EU-Gipfel in der kommenden Woche sollten die Staats- und Regierungschefs nun über eine Lösung beraten: "Wie die Lösung aussehen wird, kann ich heute nicht sagen", sagte Barroso, der sich auch nicht zu einem möglichen Zeitplan äußerte.

Der neue Vertrag sollte Anfang 2009 in Kraft treten und die EU auf eine neue Grundlage stellen. Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker betonte: "Es ist klar, dass der Lissabon-Vertrag nicht zum 1. Jänner 2009 in Kraft treten kann." Damit übernimmt auch nicht der "EU-Außenminister" die Funktion von EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner so wie geplant.

"Fortschritt der EU nicht aufhalten"

Irlands Premierminister Brian Cowen versicherte, dass sein Land "den Fortschritt der Union nicht aufhalten" werde. Das Votum der Iren bedeute für die EU "einen Dämpfer für viele Jahre Arbeit". Allerdings habe die Union schon früher in ähnlichen Situationen gestanden, aber immer einen "einvernehmlichen Weg" aus der Krise gefunden.

Die slowenische EU-Ratspräsidentschaft forderte Irland auf, beim EU-Gipfeltreffen am 19. und 20. Juni in Brüssel die Gründe für das Scheitern des EU-Referendums zu erläutern. "Wir werden über die Lage diskutieren und über Wege, wie man weiter kommen kann", erklärte der slowenische Premierminister Janez Jansa in einer Mitteilung. Der EU-Reformvertrag sei aber "unbedingt nötig", damit Europa effizienter, demokratischer und transparenter werden kann, betonte der slowenische Premier.

Großbritannien will die Ratifizierung des Vertrages weiterführen. "Es ist richtig, dass jedes Land die Ratifizierung fortsetzt", sagte Außenminister David Miliband. Der Vertrag von Lissabon habe im Parlament und im Oberhaus in London eine Zustimmung. Der Ausgang der Abstimmung in Irland solle "respektiert und verdaut" werden. Niemand sollte den Iren nun vorschreiben, was zu tun sei.

"Mit Problemen der Menschen auseinandersetzen"

Die EU muss sich stärker mit den Problemen auseinandersetzen, "die den Menschen ganz offensichtlich unter den Nägeln brennen", sagte SP-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer in einer ersten Reaktion. Wie VP-Außenministerin Ursula Plassnik sprach er sich für eine "genaue Analyse" des irischen Votums aus. Plassnik bezeichnete das Nein als "Rückschlag", betonte aber, dass die EU auch nach dem irischen Votum "kein rechtsfreier Raum" sei, da es den Vertrag von Nizza gebe.

Bundespräsident Heinz Fischer mahnte, die künftigen Schritte "sehr sorgfältig" zu überlegen.

"Mutmacher stärken, Hüftschüsse vermeiden"

Nach Ansicht von ÖVP-Klubobmann Wolfgang Schüssel gelte es jetzt, "die Mutmacher zu stärken". Man müsse "Hüftschüsse" vermeiden und den Iren zuhören, um mit ihnen eine Lösung zu suchen, sagte der frühere Bundeskanzler in einem ORF-Radiointerview. Mit dem irischen Referendum sei das europäische Reformvorhaben noch komplexer geworden, konstatierte Schüssel, für den "ein Fleckerlteppich von Volksabstimmungen nicht mehr funktioniert".

"So wie es jetzt läuft, wird es immer Stolpersteine geben", bemerkte der Ex-Kanzler, der sich für die Durchführung einer Volksabstimmung an einem Tag in ganz Europa aussprach, wobei die Bevölkerungsmehrheit ausschlaggebend wäre.

"Vertrag in historischer Mülltonne entsorgen"

Freude überwog dagegen bei Österreichs Opposition. FPÖ-Chef Heinz Christian Strache sagte, die Iren hätten stellvertretend für alle Völker Europas den EU-Technokraten und Bürokraten eine Abfuhr erteilt. BZÖ-Chef Peter Westenthaler sagte, der Vertrag von Lissabon sei nun "gestorben und in der historischen Mülltonne entsorgt". Das ist ein großer Sieg des geknechteten Volkes über das Establishment und die EU-Chaoten in Brüssel und eine Chance für ein anderes, besseres Europa", jubelte Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider.

Auch der Grüne Europaparlamentarier Johannes Voggenhuber sagte, die irische Abstimmung "steht repräsentativ für das ganze Unbehagen in Europa".

"Sieg über europäische Bürokratie"

Der als EU-Skeptiker bekannte tschechische Präsident Vaclav Klaus beschrieb den Ausgang des Referendums als "einen Sieg von Freiheit und Vernunft über künstliche, elitäre Projekte und die europäische Bürokratie". Klaus sieht den EU-Reformvertrag als gescheitert an. "Das Projekt des Lissabon-Vertrags ist heute mit der Entscheidung der irischen Wähler beendet und die Ratifizierung kann nicht fortgesetzt werden."

(Ag./Red.)

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