Vertragsanpassung ohne Neuausschreibung

Der EuGH sichert öffentlichen Auftraggebern bei bestehenden Verträgen die nötige Flexibilität.

WIEN. Öffentliche Auftraggeber müssen nach erfolgter Vergabe gelegentlich laufende Verträge an geänderte äußere Umstände wie technische Weiterentwicklungen anpassen oder einzelne Vertragspunkte neu verhandeln. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) gibt erstmals Leitlinien, wann nachträgliche inhaltliche Änderungen in vergaberechtlich relevanten Verträgen zulässig sind oder aber eine Neuausschreibung erfordern.Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens war ein Vertrag aus 1994 zwischen der Republik Österreich und der Austria Presse Agentur (APA) über Nachrichtenagenturleistungen. Nachträglich wurden eine APA-Tochter in die Leistungserbringung eingebunden, Rabatte beim Entgelt erhöht und ein dreijähriger Kündigungsverzicht vereinbart. Die pressetext Nachrichtenagentur sah darin unzulässige Neuvergaben und focht die Vorgänge beim Bundesvergabeamt an. Der EuGH erklärte sämtliche Änderungen für zulässig (C-454/06).

Im Detail hat der EuGH letzte Woche folgende allgemeine Aussagen getroffen:

► Nur wesentliche Vertragsänderungen begründen eine Neuausschreibungspflicht. Wesentlichkeit ist dann gegeben, wenn sich der potenzielle Bieterkreis verändert oder die geänderte Vertragsbedingung ursprünglich die Annahme eines anderen Angebotes erlaubt hätte.

► Eine Änderung in der Person des Vertragspartners ist zulässig, wenn sie auf einer internen Neuorganisation beruht.

► Auch die Hauptleistungspflichten können geringfügig angepasst werden, wenn sich die Änderung objektiv erklären lässt.

► Änderungen zum Nachteil des Auftragnehmers sieht der EuGH ganz grundsätzlich als zulässig, weil sich das „wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrages“ zu Gunsten des Auftraggebers entwickelt.

► Unzulässig sind hingegen Vorgänge, die zu einer Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil potenzieller Bieter führen oder den Auftrag in großem Umfang auf ursprünglich nicht vorgesehene Leistungen erweitern.

Der EuGH räumt öffentlichen Auftraggebern mit Augenmaß jene Flexibilität ein, die sie benötigen. Für Dienstleistungskonzessionen vertritt die EU-Kommission in einer aktuellen Mitteilung einen noch weiteren Bereich für Vertragsänderungen.

Dr. Schramm M.B.L.-HSG ist Rechtsanwalt und Partner, Mag. Feuchtmüller ist Rechtsanwaltsanwärter bei Schramm Öhler Rechtsanwälte in Wien; am Verfahren auf Seiten der APA beteiligt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2008)

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