High-Tech: Geisterschiffe auf dem Atlantik

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Roboter-Segelboote finden ohne Zutun des Menschen für jedes Ziel eine optimale Route. Nun bereitet sich das österreichische Weltmeister-Team auf den ultimativen Härtetest vor: auf die Überquerung des Atlantiks.

Auf Roland Stelzer und sein Team kommt ein arbeitsreicher Sommer zu: Zwar haben die Forscher eben einen Weltmeistertitel errungen, doch Zeit zum Ausruhen auf dem Lorbeer ist keine. Denn Ende September fällt der Startschuss für das nächste große Abenteuer: die erste Überquerung des Atlantiks mit einem Roboter-Segelboot, das ohne jeglichen Eingriff durch den Menschen sein Ziel findet. Stelzers Team geht mit demselben Boot an den Start, mit dem es Ende Mai am Neusiedler See erfolgreich war: die „ASV Roboat“, eine 3,75 Meter lange Yacht, die mit Sensoren, einem Computer und High-Tech-Steuerung von Ruder und Segel ausgestattet ist. Die Forscher haben zweieinhalb Jahre intensiv (und unentgeltlich) an diesem technischen Wunderwerk gearbeitet und 30.000 Euro investiert – Förderungen für die WM gab es von der EU, vom Wissenschafts- (BMWF) und vom Wirtschaftsministerium (BMWA).

Das erste Ziel haben die Forscher jedenfalls erreicht: „Wir kommen verlässlich überall hin.“ Man braucht dem Boot nur die Zielkoordinaten einzugeben, den Rest übernimmt die Elektronik. Das Boot misst per GPS seine eigene Position, es ermittelt mit einem Ultraschall-Sensor die Windrichtung und -stärke, verfügt über einen lagekompensierten Kompass und kennt stets die Stellung der Segel und der Ruderpinne.

Der Kern der Technologie ist eine „Fuzzy-Logic“-Steuerung in vier übereinander liegenden Ebenen. „Wir haben das Wissen von Seglern im Computer nachgebildet“, berichtet Stelzer. Dieses Expertenwissen ist einigermaßen unscharf: Wenn ein Segler merkt, dass der Wind „stärker“ wird, dann verändert er die Segel-Stellung „ein bisschen“. Wie viele km/h „stärker“ bedeutet und wie viele Grad „ein bisschen“ sind, weiß er nicht. Per Fuzzy Logic kann man mit solchen Informationen trotzdem rechnen.

Segel-Wissen im Computer nachgebildet

Die vier Ebenen, in denen die Steuersignale berechnet werden, entsprechen ebenfalls der menschlichen Segel-Praxis: Stelzer: „Auf einem Segelboot befinden sich mehrere Personen mit unterschiedlichen Aufgaben.“ Der Kapitän übernimmt die strategische Routenplanung, der Steuermann setzt die jeweiligen Ruder- und Segelpositionen fest, andere Skipper führen die Manöver – Wende oder Halse – durch. Und ein Sicherheitsoffizier kümmert sich um Notfälle.

Getestet wurde die Technologie erstmals vor zwei Jahren mit einem 1,3 Meter großem Modellboot an der Neuen Donau. Die Steueralgorithmen waren dieselben wie heute: „Je größer das Boot ist, desto besser funktioniert es.“ Denn größere Boote reagierten viel gutmütiger. Bei der Regatta am Neusiedler See sind einige Schwächen deutlich geworden. Bei einem 48-Stunden-Rennen vor den WM-Läufen herrschte starker Regen, keines der gestarteten Roboter-Boote kam ins Ziel. „Manche Komponenten sind nicht ganz so wetterfest wie erwartet.“

„Die ganz große Herausforderung wird die Energieversorgung.“ Die Antriebsenergie – der Wind – ist zwar „gratis“, der Strom für die Steuerung ist aber Mangelware. Die Grundversorgung kommt von Solarzellen, es gibt Batterien als Puffer. Als „Back-up“ wird zusätzlich eine Methanol-Brennstoffzelle eingebaut. Parallel dazu wird auch der Stromverbrauch minimiert. Einsparungspotenzial gibt es etwa bei den Sensoren. Und auch die Routen werden anders optimiert. „Wir können nicht so elegant segeln, dafür aber energiesparender.“ Eine weitere Änderung von Neusiedler See zum Atlantik: Es wird zusätzlich ein Vorsegel montiert – für den Fall, dass das Großsegel reißt. Bevor es auf den Atlantik geht, werden Neuerungen noch eine Woche in der Adria getestet.

Zum großen Abenteuer werden die Boote in Portugal starten, die Reise wird sechs bis acht Wochen dauern. „Die ersten Tage werden wir die Bote begleiten, dann kommt die schwierige Entscheidung: Wann drehen wir um.“ Denn ab dann sind die Botte wirklich auf sich allein gestellt, sie senden nur zweimal am Tag ein Positionssignal aus.

Zum Schutz, dass die Segelboote nicht von Tankern über den Haufen gefahren werden, werden Radarreflektoren montiert. „So werden wir gut gesehen.“ Aktive Radar-Systeme an Bord wären zwar möglich – sie sind fertig entwickelt –, aber aus Energie-Gründen können sie nicht eingesetzt werden. Kurz vor dem Ziel – die „ASV Roboat“ wird die Karibikinsel Martinique ansteuern – sollen die Boote von den Forscher-Teams in Empfang genommen werden. „Wir sind sehr optimistisch, dass wir einen guten Teil des Weges schaffen. Ob wir das Ziel wirklich erreichen, wird man sehen. Auf dem Meer kann sehr viel passieren“, so Stelzer.

Stelzer hat bereits ein Patent auf die Technik angemeldet. Das Interesse von Bootsherstellern ist aber bisher endenwollend. „Der Yacht-Markt ist ein sehr konservativer Markt, es dauert lang, bis sich technische Neuerungen durchsetzen.“ Aber: „Es wird kommen, davon bin ich überzeugt.“

Mensch ist noch überlegen

Der Forscher hat einige Anwendungen im Auge: erstens als Sicherheitssysteme für herkömmliche Segelyachten. „Der Mensch segelt wie bisher selbst, bei kritischen Situationen oder wenn der Mensch einen krassen Fehler macht, könnte die Elektronik eingreifen.“ Zudem kann die Technologie Leben retten: Wenn ein Skipper über Bord geht, kann ihn das Boot automatisch wieder abholen. Zweitens kann mit dem Roboter-System der Komfort gesteigert werden: Bisherige Autopiloten konnten zwar einen Kurs halten, aber keinen optimalen Kurs segeln – und schon gar nicht automatisch Wenden oder Halsen ausführen. Der dritte mögliche Einsatzbereich ist die Wissenschaft: als unbemannte Sensor-Bojen, die etwa meteorologische Daten sammeln oder Fischschwärme beobachten. Derzeit ist der Aufwand zum Hinausschleppen, Verankern und Wiedereinholen (für die Wartung) ein großer Aufwand. Mit selbststeuernden Roboter-Booten wäre das viel einfacher.

Noch nicht klar ist die juristische Situation. „Es gibt unterschiedliche Ansichten, manche meinen, dass ein Boot ohne Personen oder Ware an Bord Treibgut ist.“ Stelzers Team hat derzeit ein juristisches Problem wegen eines Sachschadens nach einer Kollision – obwohl das Boot mit einer warnenden Delta-Flagge bestückt war. „Diese Frage wird zu klären sein“, so der Forscher.

Der Mensch ist den Roboter-Segelbooten freilich noch überlegen: Ein nach den WM-Läufen durchgeführtes „Mensch-Maschine“-Rennen wurde vom Menschen klar gewonnen. Stelzer: „Der Mensch kann vorausschauender segeln.“ Vor allem bei sehr schwachem Wind. „Der Mensch schaut sich zum Beispiel die Wasser-Oberfläche an und sucht die Route danach aus, ob sich das Wasser irgendwo kräuselt oder kleine Wellen sind.“ Zudem weiß ein erfahrener Skipper, dass zu einer gewissen Uhrzeit eine Brise aufkommt. Technisch wäre das derzeit nur mit sehr hohem Aufwand nachahmbar.

Automaten

Mobile Roboter werden immer mehr Realität, entwickelt werden etwa automatische Haushaltshilfen oder Schneeräumer. Zu lösen sind noch viele Probleme: von den Sensoren über die Steuerung bis zur Robustheit. Als Testfelder für die Technologien dienen etwa das Roboter-Segeln oder Roboter-Fußball – wo auf zwei Beinen gehenden Robotern die Zukunft gehört.

Bei Autos ist man noch nicht so weit, dort sind noch viele technische und juristische Schwierigkeiten zu bewältigen. Sicherheitssysteme wie ESP, die bei Fahrfehlern eingreifen, will die EU ab 2012 vorschreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2008)

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