„Patienten für PR-Kampagne instrumentalisiert“

„Presse“-Podiumsdiskussion zur Gesundheitsreform provoziert Schlagabtausch zwischen Ärztekammer und Patientenanwaltschaft.

WIEN(bm.) „Wir haben einige Etappenziele erreicht,“ zeigte sich Ärztekammerpräsident Walter Dorner zufrieden. Bei einer Podiumsdiskussion von „Presse“ und „Pharmig“ am Mittwoch, dem Vorabend des zweiten, diesmal zweitägigen Ärztestreiks, wurde aber auch Kritik an der Kampagne der Standesvertretung laut. Davor aber erklärte Dorner, wo er sich durchgesetzt hat: Die Aut-Idem-Regelung (der Arzt verschreibt den Wirkstoff, der Apotheker sucht das billigste Medikament) kommt erst frühestens 2011 – und mit der Möglichkeit, dass sich der Arzt im Einzelfall darüber hinwegsetzen kann; die Einzelverträge seien „vom Tisch“; und die Qualitätsprüfung von Ordinationen werde auch die Ärzte einbinden.

Umso schärfer fiel die Kritik von Patientenanwalt Gerald Bachinger an den aktuellen Kampfmaßnahmen aus: Die Patienten würden von der Ärztekammer „für eine PR-Kampagne instrumentalisiert“, für Bachinger ein „Missbrauch des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient.“ Seine eigene Schwiegermutter habe in einer Arztpraxis kürzlich ein Flugblatt in die Hand gedrückt bekommen, wonach alte Menschen aufgrund der Reform künftig keine teuren Behandlungen wie eine neue Hüfte erwarten könnten. Bachinger selbst befürchtet durch die Gesundheitsreform keine akute Gefahr für die medizinische Versorgung. Dem Arzt werde keineswegs die Therapiehoheit entzogen.

Das bestätigte auch Christiane Körner, Vizepräsidentin der Apothekerkammer: „Wirkstoff, Dosis und Dauer der Behandlung bleiben Sache des Arztes.“ In der Praxis funktioniere „Aut-Idem“ in Notfällen und bei Lagerengpässen seit eh und je hervorragend. Körner ist wichtig, dass dem Patienten gegen Aufpreis eine Wahlmöglichkeit für teurere (aber idente) Produkte gegeben wird – vergleichbar einer Brille, bei der die Krankenkasse bestimmte Modelle zahlt, bei teureren Brillen aber nur den entsprechenden Grundbetrag zuschießt.

Hohe Kosten für Medikamente

Auch Erich Laminger, Vorsitzender des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, will die ärztliche Therapiehoheit unangetastet lassen. Er betonte aber, dass die rasant wachsenden Kosten für Medikamente eine Reaktion der Sozialversicherungen erzwinge. Mit der Forderung nach strengeren Behandlungsrichtlinien im Hinblick auf Kosten provozierte er den Ärzte-Chef: Schon heute dürfen Behandlungen das Notwendige nicht überschreiten.

Zweifel am Einsparungspotenzial durch die Aut-Idem-Regelung äußerte Jan Oliver Huber, Generalsekretär des Dachverbands pharmazeutischer Unternehmen, Pharmig: „Österreichische Medikamente liegen schon heute 18,6 Prozent unter EU-Niveau, bedingt durch eine restriktive Preispolitik und Mengenrabatte.“ Durch die nun diskutierte sechsprozentige Steuer auf Medikamente sieht er viele Kleinunternehmen der Pharmabranche in ihrer Existenz bedroht.

Versöhnlich wurde die Debatte gegen Ende, als Patientenanwalt Bachinger mahnte, die Gesundheitsreform nicht als „großen Wurf, der 50 Jahre wirkt“ zu sehen; vielmehr seien viele kleine Schritte notwendig, um langfristig das Gesundheitswesen zu entwickeln und auf hohem Niveau zu halten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.