Montanuni Leoben: Abschiednehmen wie ein Bergmann

(c) Markus Leodolter
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Wer mit dem Studium an der Montanuni fertig ist, kehrt der Stadt oft für immer den Rücken. Bei der Sponsion lassen sich die Absolventen nach altem Brauch gegen das Tor der Uni schlagen.

Lautes Krachen ertönt, als Richard Rachbauer mit seinem Rücken gegen ein Holzschild am alten Portal der Montanuniversität in Leoben gestoßen wird, wieder und wieder.

Die gut hundert Gäste, die das Spektakel verfolgen, zählen euphorisch die Zahl der Schläge mit; von eins bis zehn und wieder von vorne. Gut dreißigmal wird der 25-Jährige, der auf den Schultern zweier Freunde sitzt, unter den amüsierten Blicken der Umstehenden gegen die ächzenden Tore gedroschen.

Nicht nur für Burschenschafter

Das brutal wirkende Ritual, das Rachbauer gerade fröhlich über sich ergehen lässt, ist gleichzeitig sein Abschied von der Uni und von Leoben. Er trägt seit kurzem den Titel „Diplomingenieur montanarum“ und dieser Philistrierung genannte bergstudentische Brauch ist eine für Leoben typische Art der Sponsion. „Es sieht zwar schmerzhaft aus, tut aber in Wirklichkeit überhaupt nicht weh“, versichert Andrea, eine zierliche Dunkelhaarige, die nach Abschluss ihres Petroleum Engineering-Studiums selbst gegen das Tor geschlagen worden war.

Die Philistrierung ist einer von drei bergmännischen Bräuchen, die dort fixer Bestandteil des Uni-Lebens sind. Anders als der Bierauszug (siehe Artikel unten) oder der Ledersprung – eine Art Initiationsritus für Studienanfänger, bei dem sie in den Stand des „Ehrenbergmanns“ aufgenommen werden – hat die Philistrierung jedoch nicht nur durch die Leobener Studentenverbindungen überlebt.

„Das hat gar nichts damit zu tun, ob man bei einer Burschenschaft ist oder nicht. Hier in Leoben macht das jeder“, erzählt Paul Mayrhofer, Dozent an der Montanuni. Und so lässt sich kein genauer Ablauf des Rituals festmachen – außer bei Verbindungen.

Nachdem sich alle Gäste in einem Lokal oder dem Verbindungshaus getroffen haben, ziehen sie gemeinsam durch die von der Polizei gesperrten Straßen zur Universität. Dabei hat jeder, Absolvent wie Gäste, eine Flasche Bier in der Hand – schließlich wird in Leoben „Gösser“ gebraut.

Rachbauer ist Mitglied der schlagenden Leobener Akademischen Burschenschaft Cruxia, seine Philistrierung folgt daher einem strengen Protokoll. Vor dem Verbindungshaus bildet sich der Zug: an dessen Spitze, auf einem Bierwagen stehend, der Philister mit seiner Flasche Bier; davor drei Repräsentanten der Verbindung im „Vollwichs“ (hochoffizielle Galauniform), hinter dem Wagen der Tross von Gästen. „Glückauf, Glückauf, Glückauf!“, klingt es durch die Straßen der Stadt, als sich der Zug das „Tarnowitzer Fahrtenlied“ singend auf das alte Portal der Uni zu bewegt.

Was folgt, ist Fixpunkt jeder Philistrierung: Der Absolvent wird von zwei Freunden auf die Schultern genommen, dann werden ihm dieselben Fragen gestellt, die er als frisch inskribierter Student beim Ledersprung beantwortet hat. „Dein Name? Deine Heimat? Dein Stand? Dein Wahlspruch?“ Dann die Frage, die darüber entscheidet, wie oft der „Schläger“ – jener dritte Freund, der den Philistranten vorne am Bergkittel packt (siehe Bild rechts) – ihn gegen das Tor wirft. Zumindest in der Theorie. In der Praxis ist Schluss, wenn den „Schläger“ die Kraft verlässt.

„Als ausgleichende Gerechtigkeit werden auch die Studenten, die in Mindeststudiendauer fertig studieren, öfter gegen das Tor geschlagen“, schildert Rachbauer. Das stört ihn nicht weiter, schließlich sei die Philistrierung nicht schmerzhaft, versichert auch er.

Kuss für den Bergmann

Rachbauer leert sein Bier in einem Zug und zerschlägt das Glas am Boden. Noch rasch ein feierliches „Gaudeamus igitur“ gesungen, und der Zug schiebt sich in Richtung Hauptplatz, wo der Absolvent am „Barbarabrunnen“ seine Abschiedsrede hält. Manch einer küsst dann noch die Schutzpatronin der Bergleute. Wobei: Darüber, ob es sich dabei tatsächlich um Barbara oder vielmehr um einen Bergknappen handelt, ist man sich an diesem Abend nicht ganz einig. „Ich kenne keinen Barbarabrunnen“, meint ein grauhaariger „Alter Herr“ der Cruxia (so heißen Burschenschafter, wenn sie nach Ende des Studiums eine „gesicherte Lebensstellung“ haben). „Nur einen Bergmannsbrunnen. Das mit dem Küssen ist ein Missverständnis“, erzählt er. „Die Studenten küssen eigentlich den Bergmann, nicht die Barbara.“

Am Brunnen ist die Philistrierung vorbei. Doch bevor die Runde noch einmal ins Verbindungshaus oder bei einem Wirten einkehrt, singt sie das „Leobnerlied“. Ein melancholisches Lied. „Das war die schöne, die goldene Zeit, im alten trauten Leoben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2008)

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