Italien: Polizei nimmt Roma in Lagern Fingerabdrücke ab

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Lega-Minister macht Ernst, auch Kinder sind betroffen. Für EU, Opposition und Kirche ist das Rassismus.

Rom/WIEN(ag, red). Sie leben in elenden Barackensiedlungen an den Rändern von Rom, Neapel und Mailand, umgeben von Schmutz und bitterer Armut: die Roma-Kinder in Italien. Viele von ihnen werden zum Betteln gezwungen, manche zum Stehlen. Jetzt kommen Polizisten in ihre Lager, um ihre Eltern und auch sie zu erfassen: Religion, ethnische Zugehörigkeit, Fingerabdruck. „Eine Maßnahme zur Bekämpfung der Kriminalität“, erklärt Innenminister Roberto Maroni.

Der zweite Mann der Lega Nord macht also Ernst: Eine Bevölkerungsgruppe wird aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit mit Fingerabdrücken erfasst. „So etwas hat es in der Union noch nie gegeben“, erklärte ein Sprecher der EU-Kommission vorige Woche irritiert, kein Land habe das Recht dazu, aber „es handelt sich ja nur um eine Ankündigung.“

Offenbar hoffte man in Brüssel, dass es sich um Theaterdonner handle – wie früher oft bei Lega-Plänen. Doch die Partei ist nun in der Regierung und macht wahr, was Premier Berlusconi als „Notmaßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit“ versprochen hat. In wenigen Wochen soll aus dem Dekret an die Polizeipräfekten der drei Metropolen ein Gesetz werden.

Doch auch die Front der Gegner ist dicht geschlossen. Oppositionsführer Walter Veltroni nennt die Maßnahme „moralisch inakzeptabel“. Pier Ferdinando Casini, Chef der Christdemokraten, fügt hinzu: „Wir sind nicht gegen Fingerabdrücke, aber wenn, dann von allen, vom Präsidenten bis zum Roma-Kind. Eine Rasse zu katalogisieren ist ein Akt des Rassismus.“ Auch die Bischofskonferenz wettert gegen „Fremdenfeindlichkeit“ und „rassische Diskriminierung“.

Maroni: „Heuchelei“ der Gegner

Doch die Volksmeinung gibt Maroni recht: 80 Prozent der Italiener sind für seine Maßnahme. Grund genug für Maroni, „keinen Millimeter zu weichen“. Die Zählung sei notwendig, denn „wir wollen wissen, wer das Recht hat zu bleiben und wer nicht“. Gegen Kritiker geht er in die Offensive und spricht von der „absolut unmoralischen Heuchelei“ derer, die hinnehmen, dass „Kinder mit den Ratten leben“. Es gehe um den „Schutz der Minderjährigen“, die man „denen entziehen“ müsse, „die sie ausnutzen“.

Mit 0,3% der Bevölkerung bilden die 150.000 Roma auch in Italien nur eine kleine Minorität. Die Hälfte von ihnen leben seit jeher am Land. Groß aber sind die Vorurteile, die man ihnen entgegenbringt. In Neapel kam es im Mai zu pogromartigen Ausschreitungen gegen Roma-Siedlungen.

Jeden zweiten Italiener würde es stören, einen Rom als Nachbarn zu haben – im EU-Schnitt sind es nur 24 Prozent. Auch Maroni scheut nicht, Öl ins Feuer zu gießen: Die Italiener seien nicht rassistisch, aber es gebe eben Reaktionen auf „Zigeuner, die sich neu geborene Kinder schnappen“.

Kommentar Seite 39

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2008)

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