heiss umstritten: Wie kam Dollfuß in den ÖVP-Klub?

Er blickt von der Wand auf die Nationalratsabgeordneten und Bundesräte, dabei hatte er die Christlichsoziale Partei 1934 aufgelöst.

Heiß umfehdet, wild umstritten – so hängt das Ölgemälde von Engelbert Dollfuß im großen Klubsitzungssaal der ÖVP im Parlamentsgebäude. Darunter eine Messingtafel:
„Dr. Engelbert Dollfuß
geb. 4.10.1892 Texing (NÖ),
gest. 25.7.1934 Wien
(ermordet im Verlauf des
nationalsozialistischen Putschversuchs),
Kammeramtsdirektor,
Landwirtschaftsminister 1931–34,
Bundeskanzler 1932–1934.“

Dass dieses Bild auch heute noch auf die VP-Parlamentarier herabsieht, empört die anderen Fraktionen regelmäßig, wurde aber von den jeweiligen VP-Klubchefs immer verteidigt. Aber wie ist es in den Klub gekommen? Wann? Durch wen? Das bleibt trotz eingehender Recherchen unbekannt. Es dürfte erst nach 1945 gewesen sein. Denn am 14.Mai 1934, also noch zu Lebzeiten von Dollfuß, wurde der „Klub der Christlichsozialen Vereinigung deutscher Abgeordneter im österr. Parlamente“ in seinem Beisein liquidiert. Das Protokoll über diese letzte Klubsitzung liegt im Parteiarchiv, das vom Vogelsang-Institut betreut wird.

Über Engelbert Dollfuß gab und gibt es keinen Konsens. Die ÖVP erblickt in ihm den „Märtyrerkanzler“, das erste Todesopfer im Kampf gegen Hitler; die SPÖ sieht in ihm den „Arbeitermörder“ von 1934. Und einen Antidemokraten.

„Märtyrer“, „Arbeitermörder“

Die Fakten selbst sind bekannt. Im März 1933 hat Dollfuß nach einer Panne im Präsidium den Nationalrat ausgeschaltet, im Mai dann den Verfassungsgerichtshof. Damit war in Österreich ein verfassungsloser Zustand eingetreten.

Am 1.Mai1934 wurde „im Namen Gottes, des Allmächtigen“ die neue ständisch-autoritäre Verfassung proklamiert, die zum größeren Teil nie in Kraft getreten ist, aber die juristische Basis für das katholische Regime bildete. Im Juli 1934 konnte die Regierung Dollfuß einen dilettantischen NS-Putschversuch abwehren. Dabei wurde der Kanzler ermordet.

Angst vor Neuwahlen

Aber warum verfolgte Dollfuß überhaupt die autoritäre Linie? Der Abwehrkampf gegen Hitler und die Hinwendung zum faschistischen Italien ist die eine Sache. Historiker Peter Huemer sieht es unter dem Blickwinkel des simplen Machterhalts: „Die Angst vor Neuwahlen. Die Regierung hätte mit Sicherheit die nächste Wahl verloren. Daher wurde diese verhindert – mittels Diktatur.“

Unter dem ständig wachsenden Druck Hitler-Deutschlands retteten sich Dollfuß und sein Nachfolger Schuschnigg in eine künstliche „Österreich-Ideologie“, die allerdings kaum über das Regierungslager hinaus griff. Huemer: „Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die Österreich-Ideologie des Ständestaates ein relevantes Element der österreichischen Selbstfindung nach 1945 geworden ist.“ hws

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2008)

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