Amokmonologe im Zugabteil

(c) AP (Ronald Zak)
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Schweigende Mehrheit, was soll das bitte sein?

Wo immer ich bin, ist es eine Minderheit, die schweigt. Die Mehrheit hat den Mund zumeist offen. Das ist zwar lästig, lässt sich aber ertragen, solange man zumindest selbst nicht zum Sprechen genötigt wird. Genau das passiert aber immer wieder. Zugabteile können dann zu regelrechten Orten des Schreckens werden, wenn einer jener Zeitgenossen einsteigt, der die Strecke von Wien nach Linz ohne Reiselektüre zu bestreiten plant. In diesem Fall hilft nur, die Augen nicht von der eigenen Lektüre zu heben, um dem Gegenüber ja keine Gelegenheit zu geben, ein Gespräch zu beginnen. Denn sind einmal die ersten Worte gewechselt, könnte der nächste ruhige Moment erst am Linzer Hauptbahnhof den Platz des dauerartikulierenden Fahrgastes übernehmen. In der Zwischenzeit sind alle Nuancen von zwischendurch eingestreuten Sätzen bis zum Amokmonolog möglich – und alle halten davon ab, konzentriert (und schweigend) zu lesen.

Aber nicht nur im Zug, auch im politischen Leben wünscht man sich manchmal, so mancher Akteur würde ein Schweigegelübde ablegen. Wenn etwa BZÖ-Generalsekretär Gerald Grosz per Aussendung verkündet, wie er den Bau einer Moschee in Graz zu verhindern gedenke: Es gebe ja, so Grosz, die Möglichkeit, den dafür vorgesehenen Platz zu entweihen. Mit einem ordinären steirischen Gülletransporter könne man jedes Gründstück zur „unreinen“ Erde verwandeln. Spätestens beim Gedanken an Grosz, wie er mit hochrotem Kopf sein politisches Programm zu Boden bringt, sollte ein Spruch von Abraham Lincoln am Himmel erscheinen: „Besser schweigen und als Narr scheinen, als sprechen und jeden Zweifel beseitigen.“ Andererseits, mit seiner Methode hätte Grosz auch ein Zugabteil ganz für sich allein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2008)

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