Koalition geplatzt: Gusenbauer geht, Neuwahl kommt

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21. September als wahrscheinlichster Wahltermin. Faymann wird SP-Spitzenkandidat. Sozialdemokraten bekräftigen neue EU-Linie. Broukal legt Ämter zurück.

Die Große Koalition ist nach 543 Tagen nun endgültig gescheitert. Voraussichtlich am 21. September finden Neuwahlen statt. Wann genau zum Urnengang gebeten wird, hängt auch von der Entscheidungsfreudigkeit des Nationalrates ab. Dort wird am Dienstag ab 9 Uhr um die genaue Form des Neuwahlantrags gerungen.

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VP-Chef Wilhelm Molterer hat seine Neuwahlpläne jedenfalls am Dienstagmorgen im Parteipräsidium absegnen lassen. Sein Vorschlag wurde ohne Gegenstimmen angenommen, der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl enthielten sich jedoch ihrer Stimme.

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Offen bleibt, ob dann andere Regierungskonstellationen möglich sind als die Neuauflage des eben gescheiterten und nach den Wahlen 2006 von Bundespräsident Heinz Fischer favorisierten Modells einer Zusammenarbeit zwischen Rot und Schwarz.

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Einer wird jedenfalls nicht mehr mit dabei sein: Kurzzeit-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer tritt nicht mehr als Spitzenkandidat der SPÖ an. Diese Rolle übernimmt der designierte SP-Chef Werner Faymann. Damit ist auch die erst vor wenigen Wochen beschlossene "Doppelspitze" der SPÖ passé.

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Molterer läutet Ende ein

Ins Rollen kam das Koalitions-Finale am Montagvormittag: VP-Chef und Vizekanzler Wilhelm Molterer setzte um 9 Uhr morgens die Spitzen des Koalitionspartners sowie Bundespräsident Heinz Fischer darüber in Kenntnis, dass die ÖVP für Neuwahlen plädieren werde. Wenig später trat Molterer vor die die Presse und begann mit den Worten: „Es reicht.“. Und weiter: "Ich kann nicht zulassen, dass die Krise der SPÖ eine Krise für Österreich wird".

Die Sozialdemokraten hätten den gemeinsamen Weg der Bundesregierung verlassen, betonte Molterer und verwies auf den jüngsten zunächst via Kronen-Zeitung angekündigten SPÖ-Schwenk in der EU-Politik. Die Regierung sei zu keinen gemeinsamen Entscheidungen mehr fähig, sagte der VP-Chef.

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SPÖ zieht mit Faymann in den Wahlkampf

Dann war die SPÖ am Zug. Dort machte man zunächst Schluss mit den parteiinternen Debatten rund um die Doppelspitze – Werner Faymann als SP-Chef, Alfred Gusenbauer als Bundeskanzler. Gusenbauer machte den Weg frei und erklärte, er habe Faymann als Listenersten für den Wahlkampf vorgeschlagen, "damit gleich von Anfang an klar ist, in welche Richtung es geht". Einem Neuwahlantrag der ÖVP will die SPÖ zustimmen.

Scharfe Kritik übte Gusenbauer an der ÖVP, die wenige Stunden zuvor die Koalition aufgekündigt hatte. "Die Wahrheit ist, dass sie das Wahlergebnis des 1. Oktober 2006 nie so richtig akzeptiert hat", sagte der Bundeskanzler. Und weiter: "Die ÖVP hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren bemüht, die Arbeit der Regierung zu behindern und sich als Mühlstein für die gemeinsame Arbeit erwiesen."

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SPÖ bekräftigt neue EU-Linie

Vom SP-Parteipräsidium einstimmig beschlossen wurde laut Faymann die neue EU-Linie der Partei, der eigentliche Grund für die Präsidiumssitzung. Die von der ÖVP abgelehnte Volksabstimmung findet sich im Punkt neun, wo es wörtlich heißt: "Deshalb spricht sich die SPÖ dafür aus, künftige Vertragsänderungen, die die grundlegenden Interessen Österreichs berühren, einer Volksabstimmung zu unterziehen." Ausdrücklich nicht bezieht sich dieser Passus auf den EU-Beitritt Kroatiens und der Westbalkanstaaten, wohl aber auf einen allfälligen Türkei-Beitritt.

Die Klubsitzung der SPÖ ging erst nach rund fünfstündiger Debatte zu Ende. Im Anschluss bestätigten Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und SP-Klubchef Josef Cap, dass das Stillhalteabkommen, wonach sich SPÖ und ÖVP bis zur Nationalratswahl im Parlament nicht überstimmen, vom Klub akzeptiert werde. Über die genaue Vorgangsweise soll aber noch mit der ÖVP verhandelt werden.

Das Problem mit dem Stillhalteabkommen: Sollte die Opposition bei den nächsten Plenarsitzungen beispielsweise die Abschaffung der Studiengebühren oder die Verlängerung der Hacklerregelung beantragen, müssten die SP-Abgeordneten gemeinsam mit der ÖVP dagegen stimmen, obwohl sie diese Maßnahmen im anlaufenden Wahlkampf einfordern. "Es kann nicht sein, dass die Opposition bis zum Wahltag mit den Regierungsparteien machen kann, was sie will", sagte ein Abgeordneter.

Auch Josef Broukal geht

An einer anderen Front forderte das Platzen der Koalition ein weiteres Opfer: Josef Broukal, bisher SP-Wissenschaftssprecher und stellvertretender Klubobmann, kündigte seinen Rückzug in die Polit-Pension an. Er hatte sich bemüht, die Studiengebühren noch diese Woche mit grüner und blauer Unterstützung abzuschaffen. Der ganze SP-Klub sei aber mittlerweile "zurückgepfiffen" worden. Er, Broukal, habe deshalb seine Funktionen als stellvertretender Klubobmann und SP-Wissenschaftssprecher zurückgelegt. "Ich will mir einen Rest an Selbstachtung bewahren“, so Broukal.

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Wahltermin voraussichtlich 21. September

Nach dem Zerbrechen der Koalition ist nun der wahrscheinlichste Wahltermin der 21. September. Möglich wären aber auch der 14. oder der 28. September. Bereits am Dienstag könnte im Nationalrat ein Neuwahlantrag eingebracht und am Donnerstag beschlossen werden. Die genauen Modalitäten des Antrages sind SP-Klubobmann Cap zufolge noch nicht geklärt. Man kann einen Antrag aller fünf Parteien einbringen, oder den bereits im Parlament liegenden Neuwahlantrag des BZÖ aktualisieren. Barbara Prammer wollte sich noch nicht endgültig darauf festlegen, dass die Neuwahlen gemeinsam beschlossen werden, meinte nach der SP-Klubsitzung aber, "ich gehe davon aus".

Ob nach den Neuwahlen andere Regierungskonstellationen als eine Neuauflage der Großen Koalition möglich sind, ist offen. Sowohl Faymann für die SPÖ als auch Molterer für die ÖVP (in einem Interview des „Standard“) haben bereits eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen. Den Umfragen zufolge dürfte aber die FPÖ im Rennen um Platz drei klar die Nase gegenüber den Grünen vorne haben.

Grünen bereit für Regierungsverantwortung

Grünen-Chef Alexander Van der Bellen kann sich jedenfalls vorstellen, nach den Wahlen in die Regierung zu gehen. Auf die Frage, ob die Grünen auch Regierungsverantwortung übernehmen würden, meinte er auf einer Pressekonferenz am Montag: "Ja natürlich."

FPÖ sieht „keine möglichen Partner“

FP-Chef Heinz-Christian Strache will sich noch nicht wirklich festlegen: Die FPÖ will bei den kommenden Neuwahlen "so stark wie möglich werden", so Strache bei einer Pressekonferenz. Nach dem Aus für die Große Koalition wolle die FPÖ jedenfalls "keine Minderheitsregierung unterstützen". Der FP-Chef weiter: "Ich sehe heute keine möglichen Partner für die FPÖ.“

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(Red.)

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