Adria in Atemnot: Das Mittelmeer ringt um Luft

Fischer bemerken „Todeszonen“ in der Nordadria als erste. Wiener Forscher erkunden die Ursachen.

„Todeszonen können binnen weniger Tage durch akute Sauerstoffkrisen entstehen“, erklärt Bettina Riedel vom Department für Meeresbiologie der Uni Wien: „Im Lauf des Sommers entwickelt der Wasserkörper stabile Schichten. Am Boden lebende Tiere sind vom warmen Wasser an der Oberfläche abgeschnitten und verbrauchen den meisten Sauerstoff in der Tiefe.“ Im warmen und nährstoffreichen Wasser an der Oberfläche bildet sich indes viel Biomasse. Kommt es im Spätsommer durch Strömungen und Stürme zur Vermischung der Schichten, so sterben viele Lebewesen, sinken ab und werden am Grund von Mikroorganismen zersetzt. Diese Mikroorganismen verbrauchen dabei den restlichen Sauerstoff, der in tieferen Schichten gelöst ist. Nehmen sie überhand, so entziehen sie dem Wasser am Meeresgrund so viel Sauerstoff, dass alles tierische Leben plötzlich erstickt.

Weltweit gibt es derzeit 200 bekannte Todeszonen, in denen Sauerstoffkrisen regelmäßig auftreten und kaum noch Leben zulassen. Die nördliche Adria ist seicht und warm und daher besonders gefährdet. „Dennoch schaffen wir es nie, solche Katastrophen im Freiland zu untersuchen“, bedauert der Meeresbiologe Michael Stachowitsch. „Es passiert urplötzlich.“ Erst einmal ist es den Wiener Forschern gelungen, das stumme Ersticken „live“ zu beobachten, das war 1974. Heute gibt es solche Krisen vermutlich jedes Jahr.

Erstickende Seesterne und Seegurken

Gemeinsam mit dem Paläontologen Martin Zuschin erforschen Stachowitsch und Riedel im Rahmen eines dreijährigen FWF-Projekts die Auswirkungen von Sauerstoffkrisen mit einem eigens entwickelten Messgerät, dessen Herzstück ein Plexiglaskubus ist: Ähnlich einer Tauchglocke wird er über ein 50 mal 50 Zentimeter großes Stück Meeresboden gestülpt. Ausgestattet mit einer Kamera und Messgeräten registriert das Instrument in 25 Metern Tiefe, wie die Lebewesen im Sand den Sauerstoff im Kubus langsam verbrauchen. Die Kamera fängt dramatische Bilder ein: Seesterne graben sich aus dem Sand, verschiedene Würmer, Krebstiere und Seegurken treibt die Atemnot an die Oberfläche. Stunden später sind alle tot.

Die Forscher simulieren damit auf kleinster Fläche, was sich bei einer „natürlichen“ Sauerstoffkrise auf mehreren tausend Quadratkilometern abspielen kann. Ölteppiche, Überdüngung, Schleppnetze – all diese Bedrohungen für die marine Lebensgemeinschaft sind gut bekannt. „Die größte Gefahr für am Boden lebende Tiere sind aber Sauerstoffkrisen, was auch die Vereinten Nationen anerkannt haben“, so Riedel.

Denn nicht nur einzelne Arten sind dadurch gefährdet, ganze Ökosysteme können auf einen Schlag vernichtet werden. Wie 1989, als Meeresbiologen in der Adria eine Todeszone von 34.000 Quadratkilometern erfassten. Damals mussten die Forscher auf die Hilfe von Tauchklubs zurückgreifen, um das volle Ausmaß der Katastrophe abschätzen zu können – das betroffene Areal war so groß, dass es Wissenschaftler ohne die Hilfe der Hobbytaucher nicht vermessen hätten können. Bis heute hat sich die Fauna in dieser Zone nicht vollständig erholt, teilweise behindert durch Schleppnetze und neuerliche, lokale Sauerstoffkrisen. Doch selbst bei idealen Bedingungen dauert die Wiederbesiedelung des Meeresgrundes fünf bis acht Jahre.

Die Ursachen für Sauerstoffkrisen sind vielfältig: Wassertemperatur, Nährstoff- und Süßwasserzufuhr, Ströme, Durchmischung und menschliche Faktoren wie Fischerei sind miteinander verbunden und begünstigen sich gegenseitig. Die Wassertemperatur ist unumstritten der wichtigste Faktor bei der Entstehung von Sauerstoffkrisen. Was darüber hinaus das Ökosystem wie stark stört, darüber wird viel gestritten. „Es ist aber noch nicht möglich, ein Meeresökosystem theoretisch zu simulieren,“ gesteht Michael Stachowitsch ein. Sicher ist nur: Die Klimaerwärmung wird Sauerstoffmangel begünstigen. Je wärmer das Wasser, desto weniger Sauerstoff kann es lösen und desto heftiger fallen die Durchmischungen im Spätsommer aus.

Adria wird zur bloßen Kulisse

Wasser ohne Leben ist wenig einladend: Organische Partikel von Tieren und Pflanzen werden oft von Lebewesen am Meeresgrund aufgenommen, die sich filtrierend ernähren. „90 Prozent der Biomasse am und im sandigen Meeresboden entfällt auf Filtrierer“, so Stachowitsch. „Sie halten das Wasser sauber, quasi als natürliche Reinigung. Alle 20 Tage wird das gesamte Wasser der Adria einmal gefiltert.“ Stirbt alles Leben am Grund auf einen Schlag, so kommt auch der „Naturfilter“ auf einmal zum Erliegen. „Das Wasser wird dann schnell trüb und stinkt.“

Was aber merken die Touristen von den Todeszonen am Meeresgrund? Wenig, räumen die Biologen ein. Jedenfalls nicht, solange keine Algenschleimteppiche an der Meeresoberfläche auftreten. Fisch aus dem Mittelmeer wird teurer und daher immer öfter durch Billigimporte ersetzt – schon heute, so Riedel, erhalte man beispielsweise auf dem Fischmarkt von Triest oft nur noch Ware aus dem Nordatlantik oder aus Japan. „Das Mittelmeer wird zur Kulisse für Touristen“, ergänzt Michael Stachowitsch. „Natürlich können Sie auch weiterhin ihre Pizza essen. Aber die Adria im Hintergrund könnte bald kein vollwertiges, lebendiges Ökosystem mehr sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2008)

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