Emil: Ungeboren, behindert, Kläger gegen die Republik

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Vorarlberg: Emil wird Ende Juli mit einer Behinderung zur Welt kommen. Vor dem Gesetz gilt er als „Totalschaden“. Weil das die Menschenwürde verletzt, wird nun Klage erhoben.

BREGENZ. „Emil hat zwar einen Schaden, ist aber kein Schaden“, sagt Andreas Karg, Vater des noch ungeborenen Emil. Sein Sohn wird voraussichtlich Ende Juli auf die Welt kommen. Doch Emils Start ins Leben wird nicht einfach: Er leidet unter einer Fehlbildung der Wirbelsäule, die nicht vollständig geschlossen ist.

„Kinder mit demselben Defekt wie Emil werden in Österreich als Totalschaden bezeichnet“, ärgert sich Karg über die heimische Rechtsprechung. Denn in einem Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH) vom Vorjahr wurden einem Elternpaar sämtliche Lebenshaltungskosten für ihr Kind zugesprochen, weil die Behinderung ihres Kindes während der Schwangerschaft nicht erkannt worden ist – in Österreich ist die Abtreibung eines behinderten Kindes, so genannte eugenische Indikation, bis vor der Geburt erlaubt.

„Kind kann kein Schaden sein“

Das Leben eines behinderten Kindes kann folglich als Ganzes schadensersatzfähig gemacht werden, sollte die Pränataldiagnostik nicht ausreichend Kenntnis über den Zustand des ungeborenen Kindes geliefert haben.

Genau dagegen richtet sich die Klage Emils, wie Anwalt Paul Sutterlüty erklärt: „Richtig wäre, wenn nur der Mehraufwand, der durch die Behinderung eines Kindes entsteht, als Schadenersatz abgegolten würde.“ Im Gegensatz zum jüngsten OGH-Urteil, das den betroffenen Eltern den Grundaufwand für ihr behindertes Kind als Schadenersatz zugesprochen hat. „Denn dadurch gilt die Existenz des Kindes als Schadensfall“, führt Sutterlüty aus. Und das verletze aus seiner Sicht die Menschenwürde: „Es kann doch nicht sein, dass ein Kind ein Schaden ist.“

Ziel der Klage sei, „gesellschafts- und sozialpolitisch etwas in Bewegung zu bringen“. Letztlich ist der Gesetzgeber gefordert, hier Klarheit zu schaffen. Die bisherige Untätigkeit der Legislative hat im Übrigen auch der OGH bereits ausdrücklich kritisiert. Sutterlüty hat am Bezirksgericht Bregenz einen Antrag auf Bestellung eines Kurators für Emil eingebracht, weil ein Ungeborenes selbst keine Klage einbringen kann. Binnen zwei Wochen will die zuständige Richterin über den Antrag entscheiden. Damit betritt man juristisches Neuland – noch nie hat ein Ungeborenes die Republik Österreich geklagt. Bei einer Ablehnung kündigt Sutterlüty Rechtsmittel an: „Notfalls klagen die Eltern im Namen des Kindes nach der Geburt.“

„Es geht nicht um Geld“

Die ungewöhnliche Klage habe keinerlei finanziellen Hintergrund, sagt der Anwalt: „Es geht dabei nicht um Geldforderungen irgendeiner Art. Egal wie der Prozess, so er denn stattfindet, endet, es geht um den Grundsatz und den Hinweis auf eines der größten Versäumnisse der Sozialpolitik.“ Emils Vater Andreas Karg betont, dass er und seine Frau keineswegs betroffene Eltern „missionieren“ wollen: „Das ist die schwierigste Entscheidung, die man treffen kann. Und egal ob man sich für oder gegen die Geburt eines behinderten Kindes entscheidet, in diesem Fall gibt es kein generelles Richtig oder Falsch. Das muss jeder für sich abwägen.“

Die Entscheidung sei ihm und seiner Frau nicht leicht gefallen. Einziger Ratschlag an Eltern in ähnlicher Situation: „Man sollte sich Zeit lassen, um das Für und Wider in Ruhe abwägen zu können.“ Emils Klage gegen die Republik unterstützen sie allein aus dem Grund, „dass es absurd ist, eine menschliche Existenz als Totalschaden zu bezeichnen“.

Auf einen Blick

Liefert die Pränataldiagnostik nicht ausreichend Kenntnis über den Gesundheitszustand eines Kindes, können Eltern, laut OGH-Urteil den Grundaufwand für ihr behindertes Kind als Schadensersatz einklagen. Weil das der Menschenwürde widerspreche, klagt der noch ungeborene Emil Karg nun die Republik Österreich. ■Ziel: Mit der Klage wollen die Eltern gesellschaftspolitischen Druck machen, um eine Gesetzesänderung zu erreichen. Ihre Forderung: Nur mehr der Mehraufwand, der durch die Behinderung eines Kindes entsteht, soll künftig als Schadenersatz einklagbar sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2008)


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