Die Wahl, ein Pisa für Erwachsene

Am 28. September wird sich zeigen, wie sehr die Österreicher imstande sind, einfache Fakten zu begreifen.

Die kommenden Wahlen zum Nationalrat kann man als eine Art „Pisa-Test“ für Erwachsene verstehen: In beiden Fällen wird in gewisser Weise die Fähigkeit der Befragten vermessen, die richtige Antwort auf relevante Fragen zu geben. Und so wie es für den weiteren Lebensweg eines Schülers nicht sonderlich zuträglich sein wird, wenn er etwa des Lesens nicht mächtig ist, wird es der Zukunft der Republik nicht zuträglich sein, wenn die Mehrheit ihrer Wähler ein paar grundlegende Fragen falsch beantwortet. Sich auf diese vorzubereiten, ist nicht sehr schwierig; und aus der Summe der Antworten ergibt sich klar, welche Parteien eher wählbar sind – und welche eher nicht:

1.Glauben Sie, a) dass die Höhe zukünftiger Pensionen im Wesentlichen von der Lebenserwartung, der Anzahl der Pensionsbezieher und jener der Beitragszahler abhängt und daher „automatisch“ errechenbar ist – oder b) dass die Höhe der Pensionen von den Parteien nach wahltaktischen Gründen festgelegt werden soll, finanziert über höhere Schulden und/oder Steuern für die Enkelgeneration, die sich nicht wehren kann?

2.Glauben Sie, dass über alle wichtigen Bestrebungen, die von einer Mehrheit befürwortet werden – wie etwa Todesstrafe für Kinderschänder, Senkung der Mehrwertsteuer auf 0 Prozent oder Einführung eines 15., 16. und 17. Gehaltes für alle, a) obligatorisch eine Volksabstimmung abgehalten werden soll oder b) der Nationalrat entscheiden soll?

3.Glauben Sie, dass es Österreichs Interessen eher nutzt, wenn es in der EU tendenziell eine a) starke, angesehene oder b) eine schwache, unglaubwürdige Stimme hat?

4.Glauben Sie, dass viele große österreichische Unternehmen wie die Voest und andere Betriebe der ehemaligen „Verstaatlichten Industrie“ besser funktioniert haben, a) bevor sie privatisiert worden sind oder b) nachdem sie privatisiert worden sind?

5.Glauben Sie, dass eine EU, deren Mitglieder rund 30 Prozent ihrer Ausgaben in Sozialleistungen stecken, a) deshalb den sozialsten Kontinent der Welt oder b) eine Ausgeburt „neoliberaler Kälte“ darstellt?

6.Glauben Sie, dass der Staat a) reiche Eltern subventionieren soll, indem er deren Kinder umsonst studieren lässt, oder b) diese auch weiterhin Studiengebühren bezahlen sollen, während bedürftige Studenten Stipendien und andere Förderungen bekommen?

7.Glauben Sie, dass künftig eher eine Partei den Kanzler stellen soll, die a) allen alles verspricht, aber davon wenig bis gar nichts hält, oder b) die manchmal auch unpopuläre, aber notwendige Erkenntnisse ausspricht, etwa hinsichtlich der Pensionen, der Steuern oder der EU-Verträge?

8.Glauben Sie, dass als Kanzler und Vizekanzler a) Faymann und Strache oder b) Molterer und Van der Bellen mehr wirtschaftliche Kompetenz aufzuweisen hätten?

9.Glauben Sie, dass die Richtlinien der Politik eher a) vom Bundeskanzler oder b) eher vom Eigentümer der größten Tageszeitung per mündlicher Weisung an den Bundeskanzler festgelegt werden sollen?

Davon, wie Österreich am 28. September in diesem Pisa-Test für Erwachsene abschneidet, wird immerhin abhängen, wie es uns in den nächsten Jahren gehen wird.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2008)

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