Ukraine: Der zweite Zerfall des orangen Lagers

(c) AP (Stepan Chuyko)
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Der Machtkampf zwischen Juschtschenko und Timoschenko paralysiert das Land.

Kiew. Das ukrainische Parlament hat sich zwar in die Sommerpause verabschiedet – doch an der Intensität der Parlamentsarbeit hat das nichts geändert. Denn die Politik ist ohnehin paralysiert durch den Dauer-Machtkampf zwischen Präsident Viktor Juschtschenko und seiner Dauerrivalin aus dem „orangen Lager“, Premierministerin Julia Timoschenko. Und so ist es fast schon egal, ob die Abgeordneten nun offiziell im Urlaub sind, oder durch ihr Nichterscheinen oder sonstige Obstruktionen die Volksvertretung blockieren.

Kurz vor der Sommerpause scheiterte noch ein von der Opposition beantragtes Misstrauensvotum gegen Timoschenko. Aktuell ging es um den notwendig gewordenen Nachtragshaushalt, im Kern allerdings um das Schicksal des Regierungsbündnisses zwischen den Blöcken Timoschenkos (BYuT) und Juschtschenkos. Für Letzteren ist das Ergebnis eine Niederlage, hatte er doch noch kurz zuvor einen eigenen Vorschlag für den Nachtragshaushalt eingebracht, ein Versuch, die Premierministerin offen zu düpieren. Das Tischtuch der einstigen Verbündeten aus den Tagen der Orangen Revolution 2004 scheint zerschnitten.

Bündnis mit dem Erzfeind?

Der Präsident bastelt sogar hinter den Kulissen schon an einer Großen Koalition mit dem einstigen Erzfeind, der russisch orientierten Partei der Regionen von Viktor Janukowitsch. Für Timoschenko käme ein Bündnis mit dem Gegner aus den Tagen der Revolution aktuell und in Zukunft nicht in Frage: „Ich halte es für ausgeschlossen, dass wir mit dieser Partei eine Regierung bilden werden“, sagt Nataliya Korolevskaya von der BYuT-Fraktion.

Präsidialverwaltung und Regierung treten offen als Kontrahenten auf, keiner gönnt dem anderen Erfolge: Scharf kritisiert das Präsidentenlager die Wirtschaftspolitik Timoschenkos, vor allem Sozialmaßnahmen wie Lohn- und Rentenerhöhungen, durch die das Ansehen der Regierungschefin in der Bevölkerung weiter gewachsen ist. Timoschenko strebt vorgezogene Präsidenten- und Parlamentswahlen an, um die gegenwärtige große Popularität auszunutzen. Voraussetzung wäre eine Selbstauflösung des Parlaments, wofür es momentan jedoch keine Mehrheit gibt.

Zu den innenpolitischen Streitigkeiten kommen nun auch noch wirtschaftliche Probleme. Zwar wuchs das Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr noch einmal um sechs Prozent, aber steigende Produktionskosten, eine Inflationsrate von rund 15 Prozent im Jahresdurchschnitt und ein wachsendes Außenhandelsdefizit gefährden die Entwicklung. Auch in dieser Frage werfen sich die Koalitionäre gegenseitig die Schuld vor. So wartet die Ukraine ein weiteres Mal auf „die eine, alles entscheidende Wahl“, die das Blatt wendet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2008)

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