EU-Frust: Alle an die Front

(c) EPA (Robert Ghement)
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Zwei Regierungsparteien, eine Idee: Politiker sollen direkt mit den EU-Gegnern reden. Übers Copyright wird gestritten.

Wien. Christoph Leitl wusste es schon Ende März: „Für die Europa-Information der Regierung ist schlecht noch ein nobler Ausdruck“, ereiferte sich der Wirtschaftskammer-Präsident. Man müsse den direkten Kontakt zum Bürger suchen. Damals zeigte sich Außenministerin Ursula Plassnik über diese ketzerischen Attacken noch indigniert: Es gebe ausreichend Information, aber eben keine „Zwangsbeglückung“. Die Bürger müssten schon selbst ein Minimum an Eigeninteresse zeigen.

Vier Monate und eine katastrophale Eurobarometer-Umfrage später klingt das ganz anders. Schon im Juli stellte Außenministerin Plassnik ein Zehn-Punkte-Programm vor, in dem es auch um direkte Kommunikation und Mobilisierung bis hinunter zum Bürgermeister geht. Die SPÖ legte sich zuerst im Ministerrat dagegen quer – und übernimmt nun selbst die Initiative: „Wir müssen aus den Fehlern lernen. Die wachsende EU-Skepsis zwingt uns, einen neuen Weg einzuschlagen“, erklärt Stefan Hirsch, Sprecher des Bundeskanzlers, der „Presse“.

Auf eine Idee von Alfred Gusenbauer hin hat der Bundespressedienst ein eigenes Konzept gegen Frust und Skepsis erarbeitet: „Statt darauf zu warten, dass die Leute Hochglanzbroschüren abfordern, müssen die Politiker direkt auf die Bürger zugehen. Eine Schönwetter-Kommunikation bringt nichts, wir müssen auch negative Aspekte ansprechen“, skizziert Hirsch das Maßnahmenpaket. Auch EU-Mandatare, Prominente und Sportler sollen raus an die Front, erklären, diskutieren, chatten, um hartnäckige EU-Gegner zu überzeugen.

Von denen gibt es bekanntlich mehr als genug. Seit das Eurobarometer im Juni Österreich zum schlimmsten EU-Muffel der Union stempelte, blickt Brüssel voller Sorge auf die miese Stimmung im „starken Herzen“ des Erdteils.

83 Prozent der Österreicher haben keine Ahnung, was im Lissabon-Vertrag steht, nur noch 28 Prozent sehen die EU positiv. Was ist da schief gelaufen? „Wir müssen uns alles anschauen, bis hin zu den Schulbüchern“, fordert Hirsch. Ein Beispiel für Nachholbedarf: Es gibt zwar eine ganze Reihe von Institutionen, die Schülerreisen nach Brüssel anbieten, aber keine einzige für Haupt- und Berufsschüler – sie hat man bisher komplett vergessen.

Kleines Budget, große Wirkung

Entschieden ist freilich noch nichts. Das Bundeskanzleramt wirbt bei Außen- und Unterrichtsministerium noch intensiv für den „neuen Weg“. Der Sommer-Ministerrat soll das Paket am Dienstag absegnen. Ums Geld geht es dabei kaum: Bescheidene 500.000 Euro sind für die Maßnahmen reserviert. „Das ist der Vorteil direkter Kommunikation: Sie kostet viel weniger als Hochglanzbroschüren“, schwärmt Hirsch.

Eher dürfte sich das Außenministerium auf den Schlips getreten fühlen, das mit seinem Paket abgeblitzt war. Die Vorschläge seien „unausgegoren“, moniert Sprecherin Valerie Hauff und gesteht zugleich ein: „Wir sind sicher nicht 180 Grad voneinander entfernt.“ Es geht offenbar mehr darum, wer das Kommando übernimmt. Beide Seiten wollen die Lorbeeren für ihre späte Einsicht ernten. Kommt es zu keiner Einigung, muss Leitl wohl noch länger nach „noblen Ausdrücken“ ringen, wenn man ihn zur EU-Information der Regierung befragt.

AUF EINEN BLICK

Am 2. Juli hatte Außenministerin Ursula Plassnik im Ministerrat ein 10-Punkte-Programm zur Verbesserung der EU-Kommunikation vorgestellt.

Aktuell kontert das Bundeskanzleramt mit einem eigenen Vorschlag für mehr Bürgernähe in der EU-Information.

Am Dienstag soll der Sommer-Ministerrat entscheiden, welche Maßnahmen unter welcher Ägide umgesetzt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2008)

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