Gewichtheben: Der stärkste Mann der Welt

(c) AP (Charlie Riedel)
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Der gebürtige Österreicher Matthias Steiner gewinnt mit 461 Kilogramm Schwergewichts-Gold für Deutschland. Eine Niederlage für Österreichs Funktionäre.

PEKING. Er stampft mit grimmigem Blick und finsterem Gesichtsausdruck auf die Heberbühne. Er schnauft, sein Kopf ist hochrot als er nach der 258 Kilogramm schweren Hantel greift. In seinen großen Händen wirkt sie so, als würde ein Kleinkind nach dem Schnuller fassen. Matthias Steiner (er wiegt 145,93 kg) geht in die Knie, hält den Atem an, stößt einen Schrei aus und reißt das Gewicht in die Höhe. Ohne zu zittern steht der mächtige Mann in seinem letzten Versuch das für Olympia-Gold dringend benötigte Gewicht. Als in der Halle tosender Applaus aufbrandet und der 25-Jährige die Hantel zu Boden sausen lässt, brechen in ihm die Emotionen durch. Ein Heulkrampf wirft ihn zu Boden, er reißt sich sein Trikot fast vom Leib, er ist außer sich. Steiner zeigt allen seine Urkraft, er brüllt und weint zugleich und donnert mit seinen Fäusten auf den Bühnenboden. Er denkt an seine im Juli 2007 verstorbene Frau.

Es sind Schläge der Wut, eine Entladung von Frust und Kummer. Es ist eine gehörige Tracht Prügel für das Schicksal, das ihm im Juli des Vorjahres seine geliebte Susann bei einem Autounfall nahm; ihr Foto trägt er stets bei sich. Und es ist seine Form der Rache an Österreichs Gewichtheber-Verband und seinen „umsichtigen“ Funktionären, die ihn, das größte Talent, verkannt und Anfang 2005 im Streit hatten ziehen lassen. Matthias Steiner, ein gebürtiger Wiener und gelernter Installateur, ist seit Anfang des Jahres deutscher Staatsbürger. Und seit dem 19. August 2008 Olympiasieger. Unfassbar.

Das Los der Sturschädel

Der österreichische Verbandspräsident Johann Parmetler gratulierte Steiner im Gespräch mit der „Presse“ und bedauerte Steiners Wechsel. Der Vorzeigeathlet habe damals „schlechte Berater gehabt“, zudem seien „Sturschädel zusammengekommen“. Er sei „stolz darauf“, dass Steiner Olympiasieger geworden sei, weil „er ehrgeizig ist, kämpft und für den Sport lebt. Leute wie Matthias sind in unserem Nachwuchs nicht dabei“, sagt Parmetler, von Hoffnungsträger Stefan Secka einmal abgesehen.

Wenn Matthias Steiner ans Gerät greift, dringt er in eine andere Welt ein. Dann vergisst er all das Leid, doch diese Verwandlung stoppt nicht den unheilbaren Zorn in ihm. Susann hatte ihn einst im Fernsehen (Eurosport) bei einem Wettkampf gesehen, seine Adresse ausgeforscht und Briefe geschrieben. Daraus entstand seine große Liebe und nachdem in der Heimat ohnehin niemand außer Trainer Maged Salama an ihn glaubte, wanderte er eben aus. In Chemnitz fand er sein Glück, und im Olympiastützpunkt Leimen wurde er für die große Tat vorbereitet.

Dann traf ihn 2007 der Schicksalsschlag, Steiner war ganz auf sich allein gestellt. Doch der Sport, sein Umfeld und die Freundschaft zur Radbahnfahrerin Sarah Seidel halfen ihm über den größten Kummer hinweg. Nur der Zorn blieb.

Wenn Matthias Steiner sauer ist, wie beim Olympiafinale, dann stemmt der 145 kg schwere Koloss (Vergleich: in Athen wog er noch 105 kg, Platz 7) fast jedes Gewicht. Im Olympia-Finale waren es nur mickrige 203 kg im Reißen, da wollte er schon explodieren. Denn es war viel zu wenig für eine Medaille. Also musste das Maximum her, und er hob 258 kg im Stoßen. Gewichtheben ist eben seine beste Therapie: „Ich habe so lange auf meine Chance gewartet. Jetzt habe ich es allen gezeigt, allen! Es ist so ein schönes Gefühl.“ Dann laufen wieder dicke Tränen über seine Backen, der Kraftprotz weint wie ein Kind. Und wieder zeigt er das Foto seiner verstorbenen Frau...

Dass es Steiner drauf hat, bewies er schon bei der EM in Lignano. Da gewann er Gold im Reißen, Silber im Zweikampf und Bronze im Stoßen. Reißen war immer sein Stiefkind, seine Power macht im Stoßen aber alles wett. Deutschland jubelt nun über den neuen Star und Erben der Hantel-Legende Ronny Weller (Olympia-Gold Barcelona), und Österreich schaut durch die Finger. Weller war in Peking übrigens auch der erste Gratulant.

„Deutscher mit Leib und Seele“

Ob er noch Gefühle für seine alte Heimat habe, lautete eine Frage aus der sich um ihn drängenden Reportertraube: „Ich bin stolz darauf, 25 Jahre lang Österreicher gewesen zu sein. Ich vergesse trotz der Schwierigkeiten und Streitereien meine Wurzeln nicht. Aber jetzt bin ich Deutscher mit Leib und Seele. Dafür bin ich auch sehr dankbar, und Gold war die Antwort!“ In Deutschland wird er gut behütet, wenngleich ihm auch dort die Bundeswehr die Aufnahme ob seiner Zuckerkrankheit verweigerte. Doch deshalb ging für ihn die Welt nicht unter, dieser Mann ist bereits durch die Hölle gegangen. Weil sich das Märchen doch mit einem Happy End erfüllte, ist er nun der stärkste Mann der Welt.

ZUR PERSON

Matthias Steiner
(* 25. August 1982) stammt aus Obersulz (NÖ). Er wurde 2008 Europameister im Reißen. Olympia-Sieger im Zweikampf (203 kg Reißen, 258 kg Stoßen). Ergreifend die Siegerehrung, bei der er das Bild seiner verstorbenen Frau in der Hand hielt. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2008)

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