Kampf der zehn Tierschützer: Justizopfer oder Straftäter?

(c) EPA (Evert-Jan Daniels)
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Der in U-Haft sitzende Grünen-Kandidat Martin Balluch soll Brandstiftungen begangen haben. Klare Beweise fehlen aber.

WIEN/ WIENER NEUSTADT. Warum sitzen neun Tierschützer (ursprünglich waren es zehn) – darunter der Grünen-Kandidat Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken – seit 21. Mai 2008 in U-Haft? Die Verdächtigen sehen sich (im Verbund mit den Grünen) als Opfer von Polizei und Justiz: Nach diversen Anti-Pelz-Demos vor „Kleiderbauer“-Filialen habe das Textilunternehmen seinen Einfluss auf die Behörden geltend gemacht. Diese seien dann mit ungerechtfertigter Härte gegen die Aktivisten vorgegangen.

Für die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt (dort ist das umfassende Vorverfahren anhängig) handelt es sich um „ganz normale“ Verdächtige. Die U-Haft, heißt es, sei wegen Wiederholungsgefahr völlig berechtigt. Anfang und Mitte Oktober gebe es von amtswegen die nächsten Haftprüfungs-Verhandlungen, erklärte am Montag der Sprecher der Anklagebehörde Erich Habitzl.

Der nun vorgebrachte Generalverdacht gegen die Tierschützer mutet eigenartig an: Sie sollen allesamt Mitglieder einer kriminellen Organisation (§ 278 a Strafgesetzbuch) sein. Auf diesen Tatbestand stehen sechs Monate bis fünf Jahre Haft.

Das Fatale an diesem Delikt, das eigentlich als Anti-Mafia-Paragraf gilt (so könnte man damit zum Beispiel international agierende Zigaretten-Schmuggler verfolgen): Es genügt, dass man sich an einer „unternehmensähnlichen Verbindung“ beteiligt, die auf die Begehung „schwer wiegender, strafbarer Handlungen“ ausgerichtet ist. Zudem muss „Bereicherung in großem Umfang oder erheblicher Einfluss auf Politik oder Wirtschaft“ angestrebt werden.

Lapidarer Verweis auf die Polizei

Ob Stinkbomben gegen Pelztierläden oder das Verkleben von Türschlössern darunter fallen, scheint fraglich. Doch das Oberlandesgericht Wien (OLG) bedient sich in seiner jüngsten Entscheidung auf Fortsetzung der U-Haft „polizeilicher Ermittlungsergebnisse“. Demnach habe etwa Martin Balluch im „Fadinger-Forum“ (Internet) unter anderem „Brandanschläge für Tierrechte gutgeheißen, Anschläge auf jagdliche Einrichtungen (etwa durch Hochstand-Schneiden) ebenso wie ,offene Lagerfeuer‘ gebilligt, Buttersäure-Anschläge verharmlost“.

Weiters habe er ausgeführt: „Unser Job scheint mir daher im Wesentlichen zu sein, derartigen Aktionen und Aktivistinnen Deckung zu geben. (...) Ihre Aktionen sollen in der Masse unserer Friedlich-Aktionen untergehen (...).“

Ferner besteht gegen Balluch laut OLG „folgende Verdachtslage“: Er soll für zwei Brandstiftungen im Jahr 2000 verantwortlich sein (auf eine Hühnerfarm und einen Zirkus). Auch soll er sich 2007 zweimal der schweren Sachbeschädigung schuldig gemacht haben (Hochstand, Fasan-Voliere). Klare Beweise dürften aber nicht am Tisch liegen. So weist Verteidiger Stefan Traxler daraufhin, dass der Brandstiftungsverdacht lediglich auf der Auswertung eines bei Balluch gefundenen USB-Sticks aufgebaut sei. Darauf seien Bekennerbriefe zu den Anschlägen gespeichert. Nur, so der Anwalt: „Neben vielen anderen Daten enthält dieser USB-Stick ausnahmslos alle mit Tierschutz im Zusammenhang stehenden, öffentlich bekannt gewordenen Kriminalfallberichte der Jahre 1999 bis 2005. Insgesamt betrifft das 128 Fälle.“ Auf ähnliche Art zerpflückt die Verteidigung die Sachbeschädigungsvorwürfe.

In einem Fall ist Traxler eine Freilassung aus der U-Haft gelungen: Das Landesgericht Wiener Neustadt schickte, wie berichtet, Anfang August einen der zehn jungen Tierschutz-Aktivisten zu seiner Familie nach Tirol. Begründung: Beim Beschuldigten habe ein „Erkenntnis- und Umdenkprozess stattgefunden.“ Es bedürfe nicht mehr der U-Haft, um „den Beschuldigten von weiteren Taten (...) abzuhalten“. Diese Entscheidung sei „unabhängig von direkten und indirekten Beeinflussungsversuchen von Beteiligten und Dritten“ erfolgt.

Allerdings: Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Enthaftung Beschwerde erhoben. Geht diese durch, sitzen wieder – so wie früher – alle zehn Tierschützer in U-Haft.

AUF EINEN BLICK

Neun österreichische Tierschützer, darunter der neu präsentierte Grün-Kandidat Martin Balluch (Bild), sitzen seit 21. Mai in U-Haft. Ein Aktivist war Anfang August enthaftet worden. Allen droht ein Prozess wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation. Der Prozess-Auftakt dürfte erst 2009 sein. [VGT]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2008)

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