Regieren mit „Bild, Bams und Glotze“

Die Mächtigen suchen die Nähe zu „Bild“ – und umgekehrt. Doch die Macht des Boulevards in Deutschland ist beschränkt.

BERLIN (vier). Als der rekonvaleszente Helmut Kohl im Frühjahr seine Lebensgefährtin Maike Richter zum Traualtar führte, standen ihm nicht seine beiden Söhne Peter und Walter zur Seite – die erfuhren erst hinterher per Telegramm von der Hochzeit. Stattdessen bot der Altkanzler den Medientycoon Leo Kirch und „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann als Trauzeugen auf. Anderntags fanden sich die Fotos prompt exklusiv im führenden Boulevardblatt Deutschlands.

So sehr Kohl stets die Hamburger „Kampfpresse“ um den „Spiegel“ verachtete, die er mit beharrlicher Ignoranz strafte, so sehr knüpfte er ein freundschaftliches Netzwerk zum publizistischen Schlachtschiff des Springer-Verlags. Klar, dass „Bild“ seine Memoiren auszugsweise abdruckte – wie übrigens auch die Gerhard Schröders.

Ungeachtet seiner konservativen Grundeinstellung sucht das Blatt die Nähe zu den Mächtigen – und vice versa. Schröder verkündete einst salopp: „Zum Regieren brauche ich nur Bild, Bams (Bild am Sonntag) und Glotze.“ Und rekrutierte einen seiner Pressesprecher aus der Redaktion.

Sprachrohr des „kleinen Mannes“

Freilich verhindert das Wohlwollen des Blattes nicht den abrupten Meinungsumschwung. Als die Ära Kohl zu Ende ging, karikierten die „Bild“-Macher den Kanzler als Umfaller – und legten ihn formatfüllend quer über die Titelseite. Als Sprachrohr des „kleinen Mannes“ wetterte „Bild“ später gegen die Hartz-IV-Reformen der rot-grünen Regierung.

„Bild“ lanciert Kampagnen, und in der deutschen Medienlandschaft kommt dem Massenblatt durchaus eine federführende Rolle als Meinungsmacher zu. Doch die Stoßkraft relativiert sich im Medienpanaroma Deutschlands, das von einer traditionell ausgeprägten Regionalpresse bis hin zu einer Fülle an Privatsendern reicht. Die Konkurrenz ist stark, und in den Großstädten hat „Bild“ nirgends eine absolute Vormachtstellung. Die größte Zeitung des Landes erreicht „lediglich“ vier Millionen Leser.

Und die Macht von „Bild“ ist beschränkt: Obwohl sie aus allen Rohren feuerte, gelang es ihr vor der Fußball-WM nicht, den Rücktritt des ungeliebten Jürgen Klinsmann als Nationaltrainer herbeizuschreiben. Inzwischen hat sie sich mit dem Bayern-Coach arrangiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2008)

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