Wir müssen zuerst uns retten und dann das Klima

Belastung der Umwelt durch Industrieabgase
Belastung der Umwelt durch Industrieabgase(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com
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Europa (und auch Österreich) steuert zielgerichtet auf eine weitere Rezession zu. Ein falscher Moment, sich weitere Mühlsteine um den Hals zu hängen.

Der Optimismus ist weg. Gab es zu Jahresbeginn noch die allgemeine Erwartung eines baldigen Aufschwungs und sogar offizielle Aussagen über ein „Ende der Krise“, hat sich das Bild in den vergangenen Wochen wieder deutlich gewandelt. In vielen Firmen herrscht Verunsicherung über die nähere Zukunft. Vor allem die sich abschwächenden Zahlen des wichtigsten Handelspartners und Konjunktur-Metronoms Deutschland sorgen auch in den heimischen Führungsetagen für ordentliche Kopfschmerzen. So werden bei unserem nördlichen Nachbarn bereits seit Monaten sukzessive die Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung heruntergefahren. Und nicht zuletzt versetzte auch der jüngste Abschwung an den Börsen den Hoffnungen auf eine Trendwende einen kräftigen Dämpfer. Statt eines Aufschwungs könnte es also etwas ganz anderes geben: einen Rückfall in die Rezession.

Just in diesem Klima treffen sich am kommenden Donnerstag die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Mitgliedsländer zu einem Gipfel. Und die wirtschaftliche Entwicklung dürfte auch auf diesem Gipfel heiß diskutiert werden – jedoch vor allem in den Kaffeepausen auf dem Gang. Wichtigstes Thema auf der offiziellen Agenda ist nämlich ein anderes: der Klimaschutz und die entsprechenden Ziele Europas für die Zeit nach dem Jahr 2020. In sechs Jahren läuft nämlich jene Selbstverpflichtung aus, die sich die EU im Jahr 2008 verpasst hat. Und dafür soll nun ein Nachfolgeregime gefunden werden.


In der Krise ist das vor zehn Jahren noch heiß diskutierte Thema Klimaschutz ein wenig in den Hintergrund gerückt. Auch im stets klimaschutzaffinen Europa wurden Stimmen laut, sich lieber auf die aktuellen Probleme wie Arbeitslosigkeit oder Staatsverschuldung zu konzentrieren. Dies wollen einige Regierungschefs nun wieder ändern. Sie wollen die Vorreiterrolle Europas bei dem Thema wieder ausbauen.

Vor allem Deutschland ist willens, die Ziele erneut deutlich hinaufzusetzen. Gegenüber früher sind die Positionen aufgrund der wirtschaftlichen Abschwächung zwar etwas aufgeweicht – dennoch fordern die Deutschen weiterhin vehement eine Erhöhung der Ziele bei der CO2-Reduktion und dem Anteil der erneuerbaren Energieträger.

Auch Österreich gehört nach wie vor zu jenen Ländern, die vor allem für ein Mehr an Klimaschutz eintreten. Allerdings hat sich hierzulande nicht zuletzt durch die Machtverschiebung innerhalb der ÖVP das Pendel bewegt. So finden die Sorgen von Industrie und Wirtschaft beim zum Wirtschaftsflügel der ÖVP gehörenden neuen Obmann, Reinhold Mitterlehner, deutlich mehr Gehör als bei seinem Vorgänger, dem zum Arbeitnehmerbund gehörenden Michael Spindelegger. Dies mag bei Grünen und professionellen Klimaschützern zwar als ungerechtfertigtes Lobbying in die falsche Richtung angesehen werden. Pragmatisch betrachtet ist es jedoch richtig.

Natürlich darf Klimaschutz nicht komplett von der politischen Aufmerksamkeitsagenda gestrichen werden. Dafür können die Folgen bei einer Nichtbeachtung des Themas langfristig gesehen einfach zu stark sein. Dennoch wäre es falsch, gerade in einer Zeit, in der allgemein klar wird, dass die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg noch lange nicht vorbei ist, sich einen weiteren Mühlstein umzuhängen. Denn die Effekte einer jetzigen Verschärfung der Ziele ab 2020 sind vor allem psychologischer Natur: Sie schwächen das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Europa und reduzieren die Bereitschaft für langfristige Investitionen. Genau jene Investitionen, die notwendig sind, um ebendieses Europa aus der Krise herauszubringen.

Die größte Reduktion bei den Treibhausgasemissionen brachte der Ausbruch der Wirtschaftskrise im Jahr 2009. Dieser Rückgang ist nicht zuletzt dafür verantwortlich, dass die für das Jahr 2020 gesteckten Ziele erreicht werden dürften. Zu hohe Ziele für das Jahr 2030 könnten nun dazu beitragen, dass die Krise in Europa noch länger dauert. In der Klimabilanz würde sich das positiv bemerkbar machen. Auf diese Methode des Klimaschutzes sollten wir aber tunlichst verzichten.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2014)

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