Klima: Wirtschaft schlägt Umwelt

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Kurz vor dem entscheidenden EU-Klimagipfel legt Österreich seine Rolle als Umweltmusterland ab. Der Wirtschaftsminister fordert Gratis-CO2-Zertifikate für die Industrie und ein Ende der fixen Klimaziele.

Wien. Anfang Oktober lud Reinhold Mitterlehner (ÖVP) ein: Umringt von heimischen Konzernchefs versprach der Wirtschaftsminister eine Trendwende in der Regierung: „Industrie und Wirtschaft sollen einen anderen Stellenwert bekommen“, verkündete er. Nicht zum ersten Mal.

Doch seit seinem Aufstieg zum Vizekanzler und ÖVP-Chef reagiert der Oberösterreicher schnell: Beim morgigen EU-Klimagipfel wird Österreich seine Vorreiterrolle beim Umweltschutz zugunsten der Wirtschaft aufweichen. Wenn die Regierungschefs am Donnerstag versuchen, strengere Klimaschutzziele ab 2030 zu vereinbaren, dürfte Österreich nicht an vorderster Front mitmarschieren. Ginge es nach dem Wirtschaftsminister, gäbe es in der EU nach 2020 kein explizites Klimaschutzziel mehr. In einem Papier, das der „Presse“ vorliegt, forderte das Ministerium vor wenigen Tagen, das von der EU-Kommission avisierte Ziel von 40 Prozent CO2-Reduktion auf Basis 1990 zu streichen. Weiters sollten die heimischen Industriebetriebe auch nach 2020 bis zu hundert Prozent ihrer CO2-Rechte gratis erhalten, so der Wunsch des Ministers.

Mitterlehner hat den Firmenchefs offenbar gut zugehört. Sie warnen seit Monaten davor, dass sich Europa mit schärferen CO2-Zielen mutwillig ins wirtschaftliche Abseits stelle. Umweltschutz sei gut, aber teuer, so die Devise. Zu teuer in einer Zeit, in der in Europa Massenarbeitslosigkeit herrscht und die europäische Wirtschaft auch im kommenden Jahr kaum wachsen dürfte.

Zehn Prozent des globalen CO2 aus EU

Aber riskiert Österreich dafür den Abschied vom Klimaschutz? Nicht wirklich. Das Wirtschaftsministerium hat der Industrie auch in der Vergangenheit meist den Rücken gestärkt. Der größte Unterschied: In seiner neuen Rolle setzt sich Mitterlehner damit offenbar leichter durch. „Wir ziehen an einem Strang mit der Industrie“, versicherte auch Parteikollege und Umweltminister Andrä Rupprechter.

An die Kämpfe der vergangenen Wochen zwischen den beiden Ministerien erinnert nur noch die offizielle Position der Republik: Die Gratiszertifikate für die Industrie finden sich auch dort. Dafür ist der Verzicht auf das 40-Prozent-Ziel wieder verschwunden. Das heiße wenig, kritisieren die Grünen. Denn Österreich fordere auch leichtere Möglichkeiten, sich freizukaufen. „So werden aus den 40 Prozent schnell 26 Prozent“, sagt Umweltsprecherin Christiane Brunner.

Kanzler Werner Faymann (SPÖ) versteht die Aufregung nicht. Österreich trete für „zukunftsfähige und unabhängige Energielösungen“ ein, müsse aber auf die Wettbewerbsfähigkeit achten. „Europa ist nur für zehn Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Die USA und China für 40 Prozent“, lässt Mitterlehner aus Peking ausrichten. „Es bringt dem Klima nichts, die österreichischen Unternehmen ins Ausland zu vertreiben.“ Tatsächlich hat Europas Vorreiterrolle beim Klimaschutz bisher wenig gebracht. Trotz aller Mühen der EU stiegen die Treibhausgase seit 1990 global um fast 50 Prozent.

Es ist daher gut möglich, dass die Umwelt selbst beim EU-Klimagipfel im Schatten eines anderen Themas stehen wird: Die Staatschefs dürfte eher interessieren, wie die angekündigten 300 Milliarden Euro zur Ankurbelung der Wirtschaft verteilt werden sollen. Für den Klimaschutz hieße es wieder: bitte warten. Zumindest so lange, bis andere Wirtschaftsräume in Sachen Klimaschutz gleichziehen.

Weitere Infos:www.diepresse.com/energie

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2014)

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