Deserteursdenkmal

Die neue Gedenkstätte in Wien hat Fehler in ihrem geistigen Webmuster. Trotzdem ist es gut, dass es sie gibt.

Irgendwie ist es bezeichnend, dass die Online-„Presse“ die Kommentare zum soeben eröffneten Deserteursdenkmal auf dem Wiener Ballhausplatz sperren musste. Offenbar ist eine sachliche Diskussion nicht möglich. Das ist schade, denn die Sache ist so einfach nicht.

Der Kameradschaftsbund hat schon vor drei Jahren mit dem Argument gegen das Denkmal protestiert, Desertion sei per se nichts Gutes, sondern in allen Rechtsstaaten ein Strafdelikt. Das ist sachlich richtig (in Österreich gibt es bis zu fünf Jahre Haft). Allerdings: Viele Widerstandskämpfer werden heute zu Recht für Taten geehrt, die in allen Rechtsstaaten Strafdelikte sind.

Aber es gibt trotzdem keine Attentäterdenkmäler oder Landesverräterdenkmäler oder Telegrafenmast-in-die-Luft-Sprenger-Denkmäler. Da die Gesinnung geehrt wird, nicht die Tat. Viele mutige Männer sind aus Gewissensgründen desertiert, und es ist ein Skandal, dass ihre Größe so lang nicht anerkannt worden ist. Aber man sollte nicht so tun, als wäre jede Desertion ehrenhaft gewesen, nur weil jede das Nazi-Regime geschwächt hat. Es kommt ja auch niemand auf die Idee, pauschal alle Steuerhinterzieher aus der Nazi-Zeit zu ehren.

Desertion schädigt auch nicht nur den Unrechtsstaat, sondern oft auch die Überlebensfähigkeit der kleinen Einheit. Ich verstehe, dass alte Kameraden mit einer Ehrung des Desertierens auch das Infragestellen des Soldatischen an sich mit seinen Grundtugenden des Diensteifers und des Gehorsams fürchten.

Also: Ich finde es nicht gut, dass es ein Deserteursdenkmal gibt. Aber ich finde es gut, dass es, wie es offiziell heißt, ein „Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärgerichtsbarkeit“ gibt. Das ist keine Haarspalterei. Nehmen wir den Kriegsfreiwilligen Matrosen Walter Gröger: Undiszipliniert (14 militärische Vorstrafen) blieb er nach einem Urlaub bei der Freundin statt wieder einzurücken. Er wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Sein Admiral hob das Urteil jedoch auf und ließ Gröger vom Marinegerichtshof zum Tod verurteilen. Getreu dem Dönitz-Erlass, wonach das „Versagen treuloser Schwächlinge“ mit dem Tod zu ahnden sei. Gröger war sicher kein Widerstandskämpfer – aber ist er nicht doch ein Opfer, ein Verfolgter?

Wenn man dann noch weiß, dass die Nazis wegen Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung 25.000 Todesurteile vollstreckt haben, die Amerikaner in derselben Zeit jedoch nur ein einziges und die Briten 40 – dann scheint mir hier jedenfalls eine Unrechtsjustiz, eine ungerechte Verfolgung, am Werk gewesen zu sein. Und es ist angemessen, der Verfolgten zu gedenken.



Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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