Lesung aus dem Diddl-Buch

Liebes Tagebuch
Liebes TagebuchORF/Anna Konrath
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Der ORF verpflanzt das Szene-Event "Liebes Tagebuch" ins Fernsehen. Ein neues Experiment für die "Dienstagnacht": schrullig und amüsant.

Irgendwie komme ich von Thomas nicht los... Und dann wäre da noch Olli. Immer öfter erscheint es mir, als wären wir telepathisch verbunden... und dann noch dieses andere männliche Wesen namens Lukas...“ Julia ist 27. Sie sitzt im TAG-Theater in der Wiener Gumpendorfer Straße und liest aus ihrem Tagebuch. Der Eintrag stammt vom 27.Mai 2002. Da war Julia 15Jahre alt, und ihre Hormone schickten sie planmäßig auf eine Achterbahn der Gefühle. So viel sei verraten: Das mit Lukas wurde nichts, auch wenn er Julias Eifersucht anfachte: „Wehe, sie baggert ihn an, die Bitch!“ Mittlerweile hat sie es verschmerzt – und amüsiert sich und ihr Publikum nun mit den Erinnerungen an den Herzschmerz.

Diary Slam nennt sich das. Organisatorin Diana Köhle fordert auf ihrer Homepage www.slamb.at dazu auf: „Stell dich deinen Jugendsünden!“ Sie hofft auf die „peinlichsten, depressivsten und schrägsten“ Einträge aus Tagebüchern, die dann vor Publikum präsentiert werden. Dieses entscheidet mittels Applaus, welcher Vortrag am besten gefällt. Derlei schrullige Contests gibt es auch in anderen Kategorien: einen Poetry-Slam etwa, einen Comic-Slam oder einen Science-Slam.


Kleine Peinlichkeiten in „Die.Nacht“. David Schalko habe ihm geraten, sich so eine vergnügliche Lesung einmal anzusehen, sagt ORF-Unterhaltungschef Andreas Vana: „Ich habe mich dann auch mitreißen lassen von dem, was da geboten wurde: Das ist ein bisschen peinlich, aber aus der Distanz betrachtet dann doch wieder nicht. Und die Leute im Publikum haben alle einen Bezug dazu: erste Liebe, erster Kuss, Pubertät, Schule – das Preisgeben von sehr persönlichen Dingen, das funktioniert im Theater großartig.“ Nun soll es auch im Fernsehen funktionieren. Schalko produziert „Liebes Tagebuch“. Vana fand den Sendeplatz: „Die.Nacht“ erschien ihm passend. In der Experimentierzone nach „Willkommen Österreich“ in ORF eins wird nach dem Ende der „Steintaler“ (ja, Experimente dürfen scheitern) ab 28.Oktober jeweils um 22.55Uhr vier Dienstage lang aus Tagebüchern gelesen – die jeweiligen Sieger treten am fünften Sendetermin dann zum Finale an.

Also zückt Stefan, 26, sein Diddl-Tagebuch mit Erinnerungen an seinen „pubertären Hormoncocktail“. Und Roswitha, 53, schwelgt noch einmal in den Ereignissen von 1977, als ein gewisser Fuzzi vergeblich versuchte, sie zum Beischlaf zu überreden. Auch sie ist darüber hinweg: „Das wird so wie mit Markus sein“, vertraute sie dem Büchlein an. „Dem habe ich auch lang nachgetrauert, und wenn ich ihn jetzt treffe, ist er mir egal. Komisch, was?“ In Zeiten, da junge Leute ihre Gedanken und Gefühle gern über soziale Medien veröffentlichen, hält Vana ein Revival des Tagebuchs für möglich. Und er hofft auf Zuspruch der Seher: „Vielleicht trifft das einen Nerv.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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