Freihandelsabkommen: Der Popanz um die "Privatjustiz"

Proteste gegen die geplante Freihandelsabkommen TTIP und Ceta
Proteste gegen die geplante Freihandelsabkommen TTIP und Ceta imago/Christian Mang
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Globalisierungsgegner wollen das Freihandelsabkommen EU/USA durch ihre Kampagne gegen den Investitionsschutz zu Fall bringen – ohne gute Gründe, aber mit Erfolg.

Die Lage ist ernst: Europa steht kurz vor der Übernahme durch amerikanische Großkonzerne. Diese dunklen Mächte nutzen das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA, um den schwachen Europäern eine neue, perfide Paralleljustiz aufzwingen. Über private Schiedsgerichte wollen sie die EU-Staaten mit milliardenschweren Klagen eindecken. So torpedieren ihre skrupellosen Anwälte jedes unliebsame Gesetz, das ihre hemmungslose Profitgier zügeln könnte. Durch diesen heimlichen Staatsstreich unterhöhlen sie die Demokratie und zerstören den Rechtsstaat.

Es ist schweres Geschütz, das die Globalisierungsgegner gegen das Freihandelsabkommen der EU mit den USA seit Monaten abfeuern. Ihr Ziel: das verhasste TTIP, ihr neues Symbol für alle Übel des Kapitalismus, zu Fall zu bringen. Dafür müssen sie Mehrheiten mobilisieren. Was nicht so einfach ist. Denn gegen mehr Wachstum bei sinistrer Konjunktur, niedrigere Preise und damit mehr Kaufkraft haben die meisten EU-Bürger keine prinzipiellen Einwände. Es braucht Kampagnen, die Ängste schüren und Antiamerikanismus wecken. Das Chlorhuhn brachte noch nicht den Durchbruch, weil bald klar wurde, dass die Brüsseler Verhandler es schon mit Einreiseverbot belegt haben. Der Investitionsschutz erweist sich nun als Wunderwaffe. Völkerrechtler merken verdutzt, wie ein Thema, nach dem nie ein Hahn krähte, plötzlich gewaltige Emotionen weckt. Ursula Kriebaum von der Uni Wien: „Ich hätte nicht gedacht, dass das jemals als Problem gesehen wird“. Bürger sind alarmiert, Verhandlungen blockiert. Politiker aller Lager beugen sich dem Druck – in Wien, Berlin und Brüssel. Eine PR-Meisterleistung.

Allein: An der hyperventilierend verbreiteten Botschaft stimmt so gut wie nichts. Eine neue, amerikanische Form des Klagerechts? Investitionsschutzabkommen gibt es seit der Nachkriegszeit. Sie sind eine europäische Erfindung, genauer gesagt eine deutsche: 1959 schloss die Bundesrepublik das erste mit Pakistan ab. In keinem einzigen der 1400 Abkommen von EU-Mitgliedsländern fehlt die Klausel, dass in Streitfällen zwischen einem Staat und einem Unternehmen ein internationales Schiedsgericht zu entscheiden hat. Eine Gefahr für den Rechtsstaat? Schiedsgerichte sind der einzige Weg, Investoren aus dem Ausland vor staatlicher Willkür zu schützen. Denn ein Abkommen mag zwar in schönen Worten versprechen, dass jemand, der Kapital und Know-how ins Land bringt, nicht diskriminiert werden soll, nicht willkürlich und ohne Entschädigung enteignet werden darf und überhaupt ein Recht auf faire Behandlung hat. Aber kann er deshalb auf unparteiische Gerichtsbarkeit im Gastland vertrauen? Sicher nicht in Diktaturen, Ländern mit verbreiteter Korruption und Staaten, in denen die Gewalten nicht sauber getrennt sind.

Mit USA nicht nötig? Ohne Schiedsgerichte hätte wohl kein europäisches Unternehmen je in einem Entwicklungs- oder Schwellenland investiert. Auch die Welle an Direktinvestitionen, die rasch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs den früheren Ostblockstaaten zum Aufstieg verhalf, wäre ohne diese Absicherung kaum denkbar gewesen. Nun lautet die Formel vieler Politiker: Zwischen hoch entwickelten Rechtsräumen wie EU und USA erübrige sich die Klausel. Doch Juristen haben da starke Zweifel. Generell ist unklar, ob Völkerrecht vor nationalen Gerichten gilt. Günther Horvath von Freshfields sieht es praktisch: „Stellen Sie sich einen steirischen Landmaschinenhersteller mit einer kleinen Fabrik in Pennsylvania vor.“ Ein lokaler Konkurrent mit guter Lobby interveniert, das Parlament beschließt: Alle Teile müssen aus den USA stammen. Klare Diskriminierung, de facto Enteignung. „Da wünsch ich dem Steirer viel Glück, wenn er vor Ort klagt. Das würde er finanziell nicht lange überleben.“

Viel wichtiger sind die Schiedsgerichte freilich für die Amerikaner. Denn zur Europäischen Union gehören auch Victor Orbáns Ungarn, Bulgarien mit seinem Korruptionsproblem und Süditalien mit seinem Mafiafilz. Deshalb besteht die US-Seite auf der Klausel: Ohne sie werde es kein Freihandelsabkommen geben. Genau darauf setzen die Globalisierungsgegner.

Deren Kritik geht freilich weiter: Konzerne würden Umwelt- und Sozialgesetze torpedieren. Beispiele für erfolgreichen Missbrauch? Fehlen völlig. Noch nie hat ein Staat ein Gesetz wegen einer Schiedsgerichtsklage gestoppt oder geändert. Die meisten Prozesse finden vor einem Gericht statt, das zur Weltbank gehört. Sehr selten geht es um neue Gesetze. In der größeren Zahl der Fälle gewinnt der beklagte Staat. Er bestellt den Richter mit – auch wenn Kampfbegriffe wie „Konzernjustiz“ und „private Tribunale“ anderes suggerieren. Die Angst geschürt wird mit drei Fällen, die noch gar nicht entschieden sind. Vor allem „Vattenfall gegen Deutschland“: Das schwedische Energieunternehmen, dem seine beiden deutschen Atomkraftwerke abgedreht wurden, hat auf Schadenersatz wegen der überfallsartigen Energiewende geklagt. Es geht um stattliche 4,7 Mrd. Euro. Das klingt nach massivem Druck. Doch die betroffenen deutschen Stromkonzerne klagen genauso, nur eben vor nationalen Gerichten. Versetzt man sich kurz in ihre Lage, versteht man sie schnell: Die Regierung hat ihnen in individuellen Deals längere Laufzeiten versprochen, die sie mit einer Brennelementesteuer erkaufen mussten und die zu hohen Nachrüstkosten geführt haben. „Hier liegt enttäuschtes Vertrauen in die Verlässlichkeit staatlichen Handelns auf der Hand“, resümiert der Passauer Völkerrechtler Hans-Georg Dederer in einem Aufsatz. Zumal sich durch Fukushima weder an der Sicherheit ihrer AKW noch an den Risken der Kerntechnik „irgendetwas geändert hätte“.

Die China-Falle. Für Politiker ist es peinlich, wenn ihre gebrochenen Versprechen publik werden. Auch ihnen zuliebe fanden die Prozesse bisher hinter verschlossenen Türen statt. Das ist der einzige Punkt, in dem viele Juristen den Kritikern recht geben: Stehen Steuergelder auf dem Spiel, muss die Öffentlichkeit informiert sein. Aber die neue Transparenz ist im TTIP vorgesehen. Auch das „Regulierungsrecht“ der Staaten ist abgesichert: Klagen gegen Umwelt- und Sozialgesetze sind gar nicht möglich. Auch weil das Investitionsschutzkapitel auf dem neuesten Stand des Völkerrechts ist, soll es als Blaupause für künftige Abkommen dienen. Fallen die Schiedsgerichte dem Druck zum Opfer, reiben sich Regime wie in China und Russland die Hände.

Denn damit können auch sie die lästigen Unparteiischen verweigern. Das ist dann wirklich ein schwerer Rückschlag: für westliche Investoren wie für die Menschen in den Schwellenländern, deren Chancen auf mehr Wohlstand sinken. Nur die Feinde des Welthandels dürfen triumphieren.

In Zahlen

3500Investitionschutz-abkommen wurden bisher weltweit abgeschlossen (62 davon von Österreich).

568Streitfälle
zwischen Unternehmen und Staaten wurden auf dieser Basis bis Ende 2013 von Schiedsgerichten entschieden (274) bzw. waren anhängig (294).

10Millionen Dollar
ist die durchschnittliche Höhe der Entschädigung, die klagenden Unternehmen zugesprochen wird.

1,46Billionen Dollar
betrug das weltweite Volumen der im Ausland getätigten Direktinvestitionen im Jahr 2013. Die gesamte bisher gezahlte Schadenssumme beträgt also nur 0,2 Prozent der Investitionen eines einzigen Jahres.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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