Carsharing: Umsteigen – vom Fahrrad aufs Auto?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Nutzen statt besitzen: Diese Formel soll in den Städten weniger Autos zur Folge haben. Doch die Rechnung scheint nicht aufzugehen. Fürs Erste werden es mehr Autos.

Wien. 400 neue Autos kommen in die Stadt, quasi über Nacht, und die Grünen freut's. Nach dem Daimler-Konzern, der mit Car2Go in Wien 800 Autos am Laufen hält, ist nun BMW mit seiner Carsharing-Plattform DriveNow gestartet: 280 BMWs und 120 Minis stehen angemeldeten Kunden in einem Teil des Ortsgebiets zur Verfügung, mit steigender Kundenzahl wolle man die Flotte aufstocken. Für Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou eine feine Sache: „Es ist großartig zu sehen, wie das Angebot wächst. Der Einstieg des neuen Anbieters spiegelt den weltweiten Trend wider, dass immer mehr Menschen auf Carsharing umsteigen“, ließ sie Anfang Oktober im „Kurier“ wissen.

Aber steigen wirklich immer mehr Menschen um? Und wenn ja, ist das gut? Carsharing genießt ein positives Ansehen und gilt als Mobilitätsform der Zukunft: Benutzen statt besitzen. Die Kommunen erhoffen sich eine Linderung der Parkplatznot und einen Rückgang der Verkehrsdichte. So werden in Wien Stellflächen für Carsharing-Pkw geschaffen, soll 2015 eine „Jahreskarte plus“ angeboten werden, über die auch Carsharing und Citybikes abgerechnet werden können.

„Studien belegen, dass ein Carsharing-Fahrzeug etwa vier bis acht Pkw ersetzt“, schwärmt Maria Vassilakou auf der Homepage der Wiener Grünen.

Doch fürs Erste sind einmal 1200 Autos mehr in der Stadt, jene von BMW mit nicht mehr ganz taufrischen Dieselmotoren, die erwiesenermaßen besonders hohe Mengen an Stickoxiden und Feinstaub emittieren. Dass sie viele Menschen von der Anschaffung eines eigenen Autos abhalten, daran zweifelt Stefan Weigele, Autor einer deutschen Studie, die Free-Floating-Carsharing weltweit analysiert hat: „Ich bin skeptisch, dass das funktioniert.“

Neuer Vertriebsweg

Oder ob es auch beabsichtigt sei, müsste man frei ergänzen. Denn das sogenannte Free-Floating-Carsharing (FFC) dient Autokonzernen wie BMW und Daimler als neuer Absatzkanal, als innovativer Vertriebsweg. Weigeles Studie sagt dem System bis 2020 für Großstädte im OECD-Raum mit über einer halben Million Einwohnern ein Umsatzpotenzial von 1,4 Mrd. Euro vorher– das ist in Zeiten stagnierender Pkw-Verkäufe eine interessante Aussicht. Schon hat Opel angekündigt, in das Geschäft einzusteigen.

Tatsächlich scheint die Begeisterung der Stadtoberen für Carsharing auf eine kleine Verwechslung zu gründen. Derzeit wird unter dem Begriff alles geführt, was die Nutzung eines Pkw durch mehrere Benutzer betrifft – Wohngemeinschaften mit einem gemeinschaftlich genutzten Fuhrpark ebenso wie standortbasiertes Carsharing, das ein eigenes Auto durchaus ersetzen soll.

Darum geht es bei Free Floating aber nur vorgeblich. Weigeles Studie nennt das Prinzip „motorisierte Bequemlichkeitsmobilität im Nahbereich“ und sieht darin ein „Ersatzprodukt für das Fahrrad, den öffentlichen Verkehr und das Taxi“. Die untersuchten Fahrten wiesen vergleichsweise geringe Entfernungen auf, dies hauptsächlich innerhalb und zwischen angesagten Stadtvierteln im After-Work- und Freizeitverkehr.

Nutzen und besitzen

Dabei seien FFC-Fahrzeuge nahezu so ineffizient und flächenintensiv wie ein privater Pkw: Würde ein privater Pkw innerstädtisch 30 bis 45 Minuten am Tag gefahren, waren es bei den Borg-Autos in Berlin auch nur 62 Minuten – Stillstand und damit Parkplatzbedarf also für nahezu 23 Stunden des Tages. Für das Prinzip Nutzen statt Besitzen sieht Stefan Weigele indes keinen Beleg: "Ich sehe eher Nutzen und Besitzen.“ Schließlich wäre ein Free-Floating-Carsharing-Auto als permanenter Ersatz für ein eigenes schlicht zu teuer, auch kommen Urlaubsfahrten oder ausgedehnte Ausflüge damit nicht infrage.

Den Autofirmen eröffnet FFC gleich ein Bündel an Vorteilen. Zum zusätzlichen Absatz des Herstellers, der in einer einzelnen Stadt zwar noch nicht verkehrsrelevant sei, in Summe aber den Umsatz spürbar verbessert, kommen die positiven Ergebnisse der Tochterfirmen als Betreiber – und die Straße als neues Schaufenster und Gelegenheit für unkomplizierte Probefahrten. Aus guten Gründen hat DriveNow auch das Mini-Cabrio im Programm, oder ein kompaktes SUV mit Allradantrieb. Die ersten Kunden der FFC-Plattformen wären jung, männlich und technikaffin, noch ohne Auto oder würden je nach Bedarf dann und wann das Volant wechseln.

Richtig bange, nach dem ersten Uber-Schock, müsste es aber den Taxibetreibern werden. Schon jetzt hat FFC den Taxlern zehn Prozent des Fahrtenvolumens abgenommen, so die Studie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2014)

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