Der Schatten des Schattens des Windes

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Bestseller. Carlos Ruiz Zafóns Roman „Das Spiel des Engels“ liegt nun auch auf Deutsch vor. Ein verspielter Literaturthriller aus Barcelona, der vor der erzählten Zeit seines Welterfolges von 2001 angesiedelt ist.

Die Jungfrauen sind blasshäutig, mit schmalen, wie gemalten Lippen, sie scheinen unerreichbar, aber es gibt Ausnahmen, die Gönner sind mephistophelisch, die Väter brutal, sprachlos und verloren, die Adjektive so häufig wie der schwarze Regen in Stunden der Depression oder die dunklen Metaphern in Momenten der Verzweiflung, auch der geheimnisvolle „Friedhof der vergessenen Bücher“ aus dem letzten Roman ist wieder da – kurz, der Katalane Carlos Ruiz Zafón hat erneut zugeschlagen.

Vor sieben Jahren hatte er als 37-Jähriger mit „Der Schatten des Windes“ einen Welterfolg gelandet, der bisher eine Auflage von zehn Millionen Exemplaren erreichte. Zuvor war Ruiz Zafón in Spanien durch eine Reihe von Jugendbüchern recht bekannt geworden. Sein vor zwei Jahren in seiner Heimat und nun auf Deutsch erschienenes Buch „Das Spiel des Engels“ jedoch hat allein durch das Werbetrommeln internationale Dimensionen. Drei Millionen Euro zahlte der S. Fischer Verlag für die deutschsprachigen Rechte an diesem und dem nächsten Roman, die Startauflage beträgt 300.000. In Spanien wurden inzwischen bereits 1,5 Millionen Exemplare von „Das Spiel des Engels“ verkauft, Lizenzen gibt es bisher für 36 Länder.

Was macht also den Reiz dieses neuen Bestsellers aus, der nach den Plänen des Autors der zweite Teil einer Tetralogie sein soll? Man kann diese 711 Seiten beinahe in einem Zug lesen, sie bieten beste Unterhaltungsliteratur, die Konstruktion des Werkes ist anspruchsvoll. Ruiz Zafón schreckt zwar nicht vor konventionellen Bildern zurück, aber er versteht es, immer aufs Neue, Spannung zu erzeugen, trotz der zahlreichen Nebenschauplätze entwickelt sich eine einfache Sogwirkung. Zafon fabuliert mit barocker Lust, der ehemalige Jesuitenschüler hat einen Hang zur Mystik, zur Groteske und zum Abenteuerlichen. Er und sein Romanheld nehmen Charles Dickens zum Vorbild, vor allem dessen „Great Expectations“, sie teilen auch dessen Sarkasmus und lieben satirische Übertreibungen, ohne ans Original des 19. Jahrhunderts heranzukommen.

Des Nachts wie im Fieber

Der Roman spielt in Barcelona in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bis zirka 1930, also vor „Der Schatten des Windes“. Dessen schreibender Held, der ideale Leser, kommt schließlich auch im Finale des neuen Werkes als Nebenfigur vor. Protagonist von „Das Spiel des Engels“ ist jedoch der ideale Schriftsteller, sein Ringen um die Form scheint ebenso bedeutend wie seine Sehnsucht nach Beziehungen.

David Martín stammt aus bescheidenen Verhältnissen, dient sich bei einer Zeitung vom Laufburschen bis zur Edelfeder hoch und wird mithilfe von Gönnern schließlich Schriftsteller. Erst sind es nur Groschenromane, unter dem Pseudonym Ignatius B. Sampson schreibt er des Nachts wie im Fieber Schauergeschichten der Serie „Die Stadt der Verdammten“, die er in einem düsteren alten Haus verfasst, doch Martín kann mehr, und auch seine Gönner verlangen mehr von ihm.

Die älteren Herren haben offenbar immer einen Wissensvorsprung, ob es sich um Don Basilio aus der Chefredaktion, um den reichen Schreiber Pedro Vidal, den Buchhändler Sempere oder den geheimnisvollen Verleger Andreas Corelli handelt. Sie sind mächtige Überväter. Sie wissen auch um das große Talent ihres Schützlings. Der ist bald damit beschäftigt, das große Romanprojekt Pedro Vidals umzuschreiben, das zuvor bloß an „die Bemühungen eines Dilettanten mit einem Übermaß an Muße und einem überspannten Ehrgeiz“ erinnerte.

Mit Leib und Seele schreiben

Faustisch hingegen ist der Pakt, den er mit Corelli eingeht. Dieser fordert ihm ein Auftragswerk ab, das sozusagen die letzten Dinge behandelt. „Ich will, dass Sie ein Jahr lang mit Leib und Seele und Ihrem ganzen Talent an dem größten Werk arbeiten, das Sie je schaffen werden: einer Religion“, sagt Corelli. Alles sei eine Erzählung, auch eine religiöse Lehre. Martín gesundet von tödlicher Krankheit. Auf wunderbare Weise werden auch andere Hindernisse für ihn aus dem Weg geräumt.

Anderes ist nicht zu erwarten in einem Roman mit einer die Kultur rettenden Geheimgesellschaft, einem teuflischen Engel, der durch die Schrift Macht über die Menschen gewinnen will und mit einem überspannten Schriftsteller, der sich von Kaffee, Hustensaft und Zigaretten ernährt. Er scheint sich in den Geheimnissen von Barcelona zu verirren. Alles nur Einbildung, was sich mit wachsender Geschwindigkeit entwickelt? All die Verbrechen, vor denen nicht einmal belesene Buchhändler verschont werden, nur Hirngespinste? Ist selbst die Liebe nur Illusion? „Ich weiß nicht, was die Wahrheit ist“, gesteht Martín in einem Verhör vor einem der möglichen Schlüsse. „Die Wahrheit ist, was schmerzt“, entgegnet ihm der Kriminalinspektor.

Mit viel Pathos, geradezu schmerzhaft bombastisch endet das Buch, der Schlusssatz des Epilogs (er spielt 1945) sagt alles: „Die Seiten werden unsere Erinnerung sein, bis sie in meinen Armen ihren letzten Atem aushaucht und ich sie ins Meer hinaus begleite, wo sich die Wellen brechen, um für immer mit ihr unterzugehen und endlich an einen Ort zu fliehen, wo uns weder Himmel noch Hölle je finden.“ Das stellt selbst den „Schatten des Windes“ in den Schatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2008)

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