Mitterlehner: „Der Staat kann nicht jede Insolvenz verhindern“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner über die Rolle des „Retters Staat“, dessen Grenzen, fallende Rollbalken - und sein Verhältnis zu Sozialminister Hundstorfer.

Die Presse: Österreichs Wirtschaft steht vor schweren Zeiten, wo ist denn aus Sicht des neuen Wirtschaftsministers jetzt anzusetzen?

Reinhold Mitterlehner: Die heimischen Betriebe stehen derzeit vor zwei zentralen Problemen: Erstens sind die Auftragseingänge in der heimischen Autoindustrie und deren Zulieferern relativ stark rückläufig. Zweitens werden in jedem dritten Betrieb Investitionen zurückgestellt. Das hat viel mit Unsicherheit zu tun, aber auch damit, dass Banken bei der Kreditvergabe sehr vorsichtig geworden sind.

Und wie lösen Sie dieses Problem?

Mitterlehner: Die beschlossene Mittelstandsmilliarde ist bei den Unternehmen noch nicht angekommen. Unser erster Schwerpunkt wird sein, diese Gelder rasch zu den Betrieben zu bringen. Zudem müssen wir die Nachfrage ankurbeln, etwa durch vorgezogene Investitionen der Bundesimmobiliengesellschaft, die ja in meinen Zuständigkeitsbereich fällt.

Ankurbelung der Bauwirtschaft durch die öffentliche Hand klingt nach veraltetem 70er-Jahre-Rezept.

Mitterlehner: Die alten Rezepte sind ja nicht ihres Alters wegen in Frage zu stellen. Entscheidend ist, ob sie richtig oder falsch sind. Meiner Meinung nach sind sie im konkreten Fall richtig: Die Bauwirtschaft hat eine Schlüsselfunktion inne. Kommt es dort zu Problemen, sind auch viele nachgelagerte Bereiche betroffen. Sie ist also eine Art Multiplikator.

In Japan funktioniert das seit Jahren nicht, zudem meinen deutsche Wirtschaftsforscher, dass am Ende nur Schulden übrig bleiben – ohne positiven Effekt auf die Konjunktur.

Mitterlehner: Meiner Ansicht nach sind verstärkte Investitionen in die Bauwirtschaft zur Stimulierung der Nachfrage und zur Verbesserung der Stimmung notwendig.

In Europa soll nicht nur über Banken ein Schutzschirm gespannt werden, sondern auch über die Autoindustrie. Hat das Ihre Unterstützung?

Mitterlehner: Da bin ich vorsichtig. Wir müssen aufpassen, nicht jede Strukturveränderung zu unterbinden. Jetzt jede Insolvenz zu verhindern, kann nicht das Ziel sein, das würde den Staat überfordern.

Viele Menschen scheinen das vom Staat aber zu erwarten.

Mitterlehner: Der Staat kann nicht alle Probleme lösen, die die private Wirtschaft nicht bewältigt. Sonst hätten wir überall auf der Welt Staatswirtschaften. Das würde nicht funktionieren. Der Staat hat bewiesen, dass er nicht der bessere Unternehmer ist. Allerdings kann der Staat vorübergehend Haftungen übernehmen. Und da muss man genau darauf achten, dass es nicht zu einer Versteinerung veralteter Strukturen kommt.

Veraltete Strukturen finden wir auch bei den Ladenschlusszeiten. Gehen Sie sonntags hin und wieder zu Billa einkaufen?

Mitterlehner: Nein. Nicht, weil ich das prinzipiell nicht tun würde, sondern weil es in meiner Heimat keinen Billa in der Nähe gibt, der am Sonntag geöffnet hat.

Wie Ihren ersten Stellungnahmen als Minister zu entnehmen ist, sehen Sie in Sachen Ladenöffnung auch keinen Veränderungsbedarf. Warum eigentlich nicht?

Mitterlehner: Laut einer Studie von Nielsen (Marktforscher, Anm.) sind 81 Prozent der Bürger mit den Ladenöffnungszeiten zufrieden. Mit 72 Wochenstunden haben wir auch einen schönen Rahmen.

Die Sache ist ja deshalb immer wieder Thema, weil in der Wiener Innenstadt die Geschäfte am Sonntag geschlossen haben.

Mitterlehner: Wir haben föderale Strukturen, und ich möchte dem Bürgermeister von Wien in dieser Frage nichts vorschreiben.

Vielleicht wollen Sie ihm einen Rat geben?

Mitterlehner: Ich gestehe Bürgermeister Häupl gerne zu, die Frage mit seinen Händlern zu klären.

Willkommen im Sozialpartner-Karussell: Die Wirtschaft verweist auf die zuständige Stadt Wien, die Stadt Wien auf Innenstadtbetriebe, die ohnehin nicht aufsperren wollen.

Mitterlehner: Jeder Wirtschaftsminister, der in der Vergangenheit Konfliktpotenzial gesucht hat, musste nur zwei Themenbereiche aufgreifen: Ladenöffnung und Gewerbeordnung. Das wird auch mir zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Haus stehen. Derzeit sehe ich den Handlungsbedarf nicht.

Wir stehen vor einer Wirtschaftskrise, in der viele ihren Job verlieren werden und hindern gleichzeitig tausende Touristen in Wien daran, ihr Geld im Land zu lassen?

Mitterlehner: Es könnte schon sein, dass ich zu einem gegebenen Zeitpunkt das Gespräch mit dem Herrn Landeshauptmann (Häupl, Anm.) suchen werde, um das Thema gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Wien zu erörtern. Aber dem will ich nicht vorgreifen.


Sie meinten in Ihrer Antrittsrede auch: Jeder, der Qualität anbietet, muss am Markt teilnehmen dürfen. Das ist derzeit aber noch nicht so – mit der Gewerbeordnung gibt es noch zahlreiche Hürden.

Mitterlehner: Das wurde schon stark liberalisiert. Heute wird nicht einmal mehr bei Tischlern eine Meisterprüfung verlangt, man muss nur seine Befähigung nachweisen. Das ist auch berechtigt, wir sehen ja im Zuge der Finanzkrise, dass es gut ist, wenn es Regeln gibt. Der freie Markt allein kann es nicht sein. In Bereichen, in denen es um Leib, Leben, Gesundheit und Vermögen geht, braucht es Regulatoren. Mein Motto ist aber nicht der Schutz vor den Konkurrenten.


Haben Sie eigentlich ein Rückkehrrecht in die Wirtschaftskammer?

Mitterlehner: Ja, ich bin karenziert. Aber ich nehme nicht an, dass ich zurückkehren werde. Ich hoffe doch, später in der Privatwirtschaft arbeiten zu können.

Haben Sie vor Ihrer langen Tätigkeit in der Wirtschaftskammer eigentlich auch Erfahrungen in der Privatwirtschaft sammeln können?

Mitterlehner: Ich kann nicht sagen, dass ich ein Unternehmen geführt habe. Aber mein Onkel hat eine Tischlerei, mein Schwager ein Gasthaus. In der Tischlerei habe ich in jungen Jahren auch physisch gearbeitet. Ich weiß also, wie ein Unternehmen in etwa funktioniert. Und natürlich habe ich auch das Unternehmen Wirtschaftskammer mit knapp 1000 Mitarbeitern gemanagt. Daher kann ich also Erfahrungswerte einbringen.

Am engsten werden Sie vermutlich mit Sozialminister Hundstorfer zusammenarbeiten müssen. Wie würden Sie Ihr Verhältnis beschreiben?

Mitterlehner: Kooperativ, pragmatisch. Aber auch nicht so, dass wir unsere Freizeit miteinander verbrächten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2008)

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