Rekord-Zinssenkung der EZB - Sparer sollten warten

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Der Leitzins wurde um 75 Basispunkte von 3,25 auf 2,5 Prozent reduziert. Viele Kreditkunden müssen sich noch gedulden, die Banken geben Zinsschritt nur verzögert weiter.

Wien (höll).Der gestrige Tag wird in die Geschichte eingehen: Die Europäische Zentralbank (EZB) kämpft mit der größten Zinssenkung seit ihrem zehnjährigen Bestehen gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise. Konkret wurde der Leitzins um 75 Basispunkte von 3,25 auf 2,5 Prozent reduziert. Seit Einführung des Euro waren Zinssenkungen im Ausmaß von 25 bis maximal 50 Basispunkten üblich.

Basis- und Prozentpunkte

Zu den Begriffen:
100 Basispunkte sind ein Prozentpunkt.
Veränderungen von Prozentwerten gibt man in Prozentpunkten an. Ein Beispiel:
4,0 Prozent sind um einen Prozentpunkt mehr als 3,0 Prozent. Relativ sind vier Prozent aber um 33,33 (ein Drittel) mehr als drei Prozent. Umgekehrt sind drei Prozent um 25 Prozent (ein Viertel) weniger als vier Prozent. Ausschlaggebend ist immer der Ausgangswert.

Niedrigere Zinsen sollen Kredite verbilligen und die Konjunktur ankurbeln. Bereits im Oktober und im November hatten die Währungshüter den Leitzins um jeweils 50 Basispunkte gesenkt. Wer aber einen Kredit braucht, sollte noch abwarten. Experten gehen davon aus, dass es in den nächsten Monaten mit den Zinsen weiter bergab gehen wird. Laut Prognose der Bank Austria soll der Zinssatz im Frühjahr 2009 bei 2,0 Prozent liegen. Deutsche Banken sehen den Wert bis Ende März sogar bei 1,25 Prozent.

2009 wird rabenschwarzes Jahr

EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hielt sich zur weiteren Zinspolitik jedoch bedeckt: „Zu Januar sage ich nichts.“ Trichet begründete die jetzige Maßnahme mit der sich verschlimmernden Wirtschaftslage. Für 2009 malt er ein düsteres Bild. Noch vor drei Monaten hatten die EZB-Ökonomen für den Euroraum ein Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent prognostiziert. Nun gehen sie von einem Rückgang aus. 2010 gibt es allerdings die Chance auf eine Erholung nach einem rabenschwarzen 2009. Die Dramatik lässt sich daran erkennen, dass auch andere Notenbanken die geldpolitischen Zügel lockern: Die Bank of England senkte am Donnerstag ihren Leitzins auf zwei Prozent. Auch die schwedische Riksbank hatte einen Rekordzinsschritt vorgenommen.

Einige Analysten reagierten dennoch enttäuscht auf den EZB-Beschluss. „Ich hätte mir einen stärkeren Schritt nach unten vorstellen können, glaube aber, dass das in den nächsten Sitzungen fortgesetzt wird“, so die Stellungnahme von Uwe Angenendt von der deutschen BHF-Bank. Dem widersprach Werner Sinn vom Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München. „Das war der richtige Schritt. Jetzt reicht es für den Moment. Es muss noch ein bisschen Pulver im Topf bleiben, das man dann bei Gelegenheit verschießen kann, wenn es noch schlimmer kommen sollte.“

Druck auf Österreichs Banken

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl forderte Österreichs Banken eindringlich auf, die Zinsverbilligung „prompt und ungekürzt“ an die Betriebe und Konsumenten weiterzugeben. „Im Frühjahr 2009 muss der Leitzins bei zwei Prozent oder sogar darunter liegen“, so Leitl. Druck macht auch der neue ÖGB-Chef Erich Foglar: „Der Schritt der EZB war längst überfällig und sollte zu wirtschaftlicher Stabilität beitragen.“ Es müsse nun rasch Geld sowohl an Unternehmen als auch an Verbraucher fließen. „Den Banken wurde schon einmal geholfen, indem die Republik ein 100 Mrd. Euro schweres Hilfspaket geschnürt hat“, erinnerte Foglar. Nun sollte die Finanzindustrie endlich von der Kreditbremse steigen.

Ein „Presse“-Rundruf bei den Großbanken ergab ein differenziertes Bild. „Bei Neukrediten müssen wir erst abwarten, wie sich die EZB-Senkung bei den Refinanzierungssätzen niederschlägt“, meinte ein Bank-Austria-Sprecher.

Denn neben der EZB gibt es für die Institute noch andere Kriterien. Wichtig ist unter anderem der Euribor – ein Zinssatz, zu dem Banken untereinander Geld ausleihen. Normalerweise liegt der Euribor nur knapp über dem EZB-Zinssatz. Doch seit der Finanzkrise klaffen beide Werte auseinander. Experten hoffen, dass nun auch der Euribor reagieren wird. EZB-Präsident Trichet meinte dazu, dass die jetzige Zinssenkung in zwei Monaten voll bei der Wirtschaft ankäme.

Auch für bestehende Kredite ist die Entwicklung des Euribor entscheidend. Bei variablen Krediten werden die Konditionen viermal pro Jahr angepasst. Der nächste Stichtag ist bei den meisten Banken der 1. Jänner 2009. „Wir werden die Zinsen an diesem Tag um 0,625 Prozentpunkte reduzieren“, heißt es bei der Raiffeisenlandesbank Wien-Niederösterreich.

Sofortreaktion bei Sparbüchern

Anders sieht die Entwicklung bei Sparbüchern aus. Hier reagieren die Banken sofort. Die Bank Austria nimmt die Verzinsung des Kapitalsparbuchs mit 13-monatiger Laufzeit um 0,625 Prozentpunkte auf 3,5 Prozent zurück. Beim Produkt „Erfolgskapital fix“ mit 9-monatiger Bindefrist wird die Verzinsung von 4,0 auf 3,6 Prozent gesenkt. Ähnlich sind die Konditionen bei Raiffeisen Wien-NÖ. Das Vermögenssparbuch mit einer Laufzeit von zwölf Monaten wird statt 4,125 Prozent nur noch mit 3,5 Prozent verzinst.

APA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2008)

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