Behinderte Abgeordnete und parlamentarische Rolli-Tours

Der ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg schied aufgrund des schlechten Wahlergebnisses seiner Partei aus dem Parlament aus. Im Nationalrat konnte er keine Abschiedsrede mehr halten – er holt sie nun hier nach.

Als Nächster spricht zu uns Abgeordneter Huainigg“, kündigte die Präsidentin meine Rede in den letzten sechs Jahren 38 Mal an. Stille. Eine Rampe wird polternd heruntergeklappt. Quietschende Räder. Eine ungewohnte Entschleunigung des Parlamentsalltags. Die Assistentin manövriert mich hinter das Rednerpult, der Rollstuhl wird hochgefahren, das Mikrofon eingerichtet. Die eigenwillige Dramaturgie zeigt Wirkung: Auffällige Stille legt sich über den Saal. Die scheinbaren Nachteile einer Behinderung wie Langsamkeit oder leise Stimme können auch zum Vorteil werden, wenn man so die ungeteilte Aufmerksamkeit von allen Abgeordneten erhält.

Unsicherheit machte sich anfangs bei KollegInnen breit, die mir die Hand entgegenstreckten und deren Begrüßung ich aufgrund der Behinderung nicht erwidern konnte. Das Händeschütteln verwandelte sich mit der Zeit in freundliches Schulterklopfen, im Klub wurde ich mit Strohhalmen überrascht, damit ich leichter trinken kann. Das traditionelle ÖAAB-Würstl wurde püriert serviert. Die Unsicherheit wich der Normalität.

Wie schwierig sich der Alltag eines behinderten Menschen gestaltet, wurde den KollegInnen spätestens bei der ersten Klubsitzung in St. Wolfgang bewusst. Der gesamte Klub wollte mit dem Zug anreisen. Damals konnten die ÖBB aber keinen barrierefreien Waggon zur Verfügung stellen. Getrennte Anfahrt kam für Klubobmann Molterer nicht infrage. Schließlich wurde ein Reisebus mit Hebelift organisiert, mit dem alle zur Klubklausur fuhren. Hinten am Bus stand: Rolli-Tours.

Gebärdensprachkurs für Abgeordnete

Mit diesen Erfahrungen war es leichter, mich mit den KollegInnen auf die schwierige parlamentarische Reise des Behindertengleichstellungsgesetzes zu begeben. Nicht umsetzbar schien auch die Anerkennung der Gebärdensprache in der Verfassung. Dieses Anliegen von mir konnte im Regierungsübereinkommen 2002 nicht verankert werden. Zu stark waren damals noch Vorbehalte, Ängste und Unwissen über diese Sprache gehörloser Menschen. Ich bestand aber darauf, dass alle meine Reden von einem Gebärdendolmetscher übersetzt werden. Am Ende jeder Rede führte ich einen kleinen Gebärdensprachkurs für Abgeordnete durch. Ich ließ Worte wie „Budgetbegleitgesetz“ übersetzen ebenso wie Namen , z. B. „Kohl“ (Gebärde eines Kohlkopfes), „Fischer“ (Gebärde einer sich bewegenden Fischflosse) oder „Pilz“ (Gebärde eines Schwammerls). Die Gebärden wurden zu „running gags“, und das Eis für die Anerkennung der Gebärdensprache war gebrochen. Sie wurde schließlich 2005 in der Verfassung festgeschrieben.

Neugierig wurde beobachtet, wie ich durch persönliche Assistenz ein selbstbestimmtes und integriertes Leben führe. Eigens eingeschulte Assistentinnen manövrieren den Rollstuhl, heben zur Abstimmung meine Hand (nicht immer ganz ohne Protest), tippen Texte und setzen je nach Bedarf einen Katheter oder saugen die verstopfte Atemkanüle ab. Ich lebte vor, was 2004 als „Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz“ für alle behinderten Menschen österreichweit geregelt wurde. Dadurch gelang es, dass auch Behinderte mit einem höheren Pflegebedarf ihrer Arbeit nachgehen können. Trotz Protest der Pflegegewerkschaft konnte 2007 die Delegation von Pflegetätigkeiten an persönliche AssistentInnen im GuKG verankert werden. Zuvor durften AssistentInnen nicht einmal Essen verabreichen – schon das fiel unter Pflegetätigkeiten, die nur diplomierte Pflegefachkräfte durchführen durften.

Es scheint mir wichtig, dass behinderte Menschen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichwertig mitbestimmen können. Vieles bleibt zu tun: Die schulische Integration muss nach der 8. Schulstufe qualitätsgesichert weiterentwickelt werden, Arbeitsplätze sind zu schaffen, die Persönliche Assistenz muss bundesweit einheitlich geregelt werden, und die Geburt eines behinderten Kindes darf keinen Schadensfall darstellen. Das alles sind Zielsetzungen im neuen Regierungsprogramm, an deren Umsetzung die Behindertenpolitik der nächsten Jahre gemessen werden wird.

Jetzt scheide ich aus dem Parlament aus, mit der Hoffnung, wieder einmal eine Begrüßungsrede halten zu können. Anhand der angeführten Erfahrungen möchte ich verdeutlichen, wie wichtig die Selbstvertretung von behinderten Menschen ist. Ich bin sehr dankbar für die Chance, die mir seinerzeit Wolfgang Schüssel gegeben hat. Ich wünsche mir, dass Regierungschefs aller Parteien auch in Zukunft den Mut finden, Menschen mit Behinderung in ihr Team zu holen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2008)

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