Angst vor der Zukunft: Es wird eng... und wir glauben dran

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Die Unternehmer haben ihr Vertrauen in die Zukunft verloren. Branchen, die eigentlich von der Finanzkrise nicht betroffen wären, stoppen ihre Investitionen. Alle drehen gemeinsam die Stimmungsspirale nach unten.

Nur kurz hält der U-Bahn-Zug im Tunnel. Die Fahrgäste sehen sich erschrocken an. Dann ist da die Rolltreppe. Sie bewegt sich nicht mehr, als ob ihr jemand den Strom abgestellt hätte. In der Station flackert das Licht. Und wieder blitzt dieser eigenartige Blick von einem zum anderen. Hat uns die Krise jetzt wirklich erreicht?

Wie eine Tsunamiwarnung ist sie gekommen: Die Ankündigung, dass die Finanzkrise schon demnächst die Realwirtschaft treffen werde. „Es wird nur noch Tage dauern“, sagte kürzlich ein Vorstandschef einer heimischen Bank. Rezession, Arbeitslosigkeit, Rückkehr der 30er-Jahre – niemand wisse, was kommt.

Gegenseitiges Herunterschaukeln

„Eine pessimistische Prognose folgt auf die nächste“, sagt der Wirtschaftsforscher Fritz Breuss. Es sei ein gegenseitiges „Herunterschaukeln“ im Gange, das durch Medien angetrieben werde, aber an dem sich alle, auch die Wirtschaftsinstitute beteiligten. So kommt es, dass mittlerweile Teile der Wirtschaft auf die Bremse treten, die eigentlich von der Finanzkrise überhaupt nicht betroffen wären. „Sie sind auf Vorrat vorsichtig“, so Breuss. Weil selbst gesunde Klein- und Mittelbetriebe neue Investitionen und Aufträge zurückhalten, weil Unternehmen die Dienstleistungen von Drittanbietern stornieren und weil viele Manager die drohende Krise nutzen, um die Zahl der Mitarbeiter zu reduzieren, wird die Spirale nach unten ganz real beschleunigt. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.

„In dieser Situation wird Ballast abgeworfen“, sagt Gerlinde Fellner vom Institut für Volkswirtschaftspolitik und Industrieökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien. „Die Unternehmen befinden sich in einer Abwartestellung. Nichts wird mehr investiert. Jeder schaut auf die anderen, niemand traut sich vor.“ Im Marketing heißt dieses Phänomen „Bandwagon-Effekt“. Kunden warten mit ihrem Kauf so lange ab, bis andere zuerst gekauft haben. Jeder schaut geschreckt zum anderen. Aber alle halten still.

Fellner sieht wie viele ihrer Kollegen keine andere Möglichkeit, als dass der Staat eine Vorreiterrolle übernimmt, um den Wirtschaftskreislauf wieder in Gang zu bekommen. „Hier geht es nicht um die Überwindung des üblichen Pessimismus einer Konjunkturkrise. Hier geht es um einen Schock, wie wir ihn bisher noch nicht gekannt haben.“

Der Ruf nach dem Staat ist allgegenwärtig. Fellner: „Wir sehen, dass mit einem Mal auch das Paradigma der liberalen Märkte infrage gestellt wird.“ Der Staat müsse mit strengen Regeln, mit eigenen Investitionen wieder Vertrauen schaffen.

Von anderer Seite wird freilich davor gewarnt, die Rolle des Staates zu überschätzen. Sein Handlungsspielraum ist begrenzt. Der Staat kann die Unternehmen nicht zwingen zu investieren. Der Optimismus und der Tatendrang müssen auch in den Betrieben selbst wieder wachsen.

Das Verrückte ist, dass niemand wagt, die Länge der Krise zu prognostizieren. „Das Klima der Verunsicherung ist gefährlich“, warnte kürzlich AMS-Vorstand Johannes Kopf in einem Interview. Die „Panikmache“ verschärfe die Situation. Tatsächlich fragen sich angesichts der Vollbremsung der Wirtschaft viele, welchen Anteil hier wohl die Psychologie spielt. Was ist notwendig? Was sind bloß Verunsicherung und Zweifel?

Die Bankenkrise hat jene Produktionen eingebremst, die kreditfinanziert waren. Das ist aber lediglich ein Teil der Realwirtschaft – einige Konzerne, weiterverarbeitende Betriebe, Autozulieferer, die Bauwirtschaft, viele Gastronomiebetriebe. Doch der Virus breitet sich fast täglich weiter aus. „Es gibt keine Aufträge mehr“, klagt eine bekannte Wiener Architektin. Viele Investitionen werden durch die totale Verunsicherung zurückgehalten: Der Bäcker verschiebt den Umbau seines Geschäfts. Die Betreiber des Ausflugsrestaurants stornieren die Plakatflächen der Werbefirma. Die Maschinenfabrik stoppt den Zubau ihrer Werkshalle. Und dieses Phänomen spielt sich zur Zeit europaweit ab. „Selten sah man eine so harte Bremsung der Bestellungen“, schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Lebensgeister der Wirtschaft

„Fünfzig Prozent der Wirtschaft sind Psychologie“, hat der ehemalige deutsche Wirtschaftsminister Ludwig Erhard einmal behauptet. Und auch der Ökonom John Maynard Keynes hat die Psychologie als Grundlage seiner Konjunkturtheorien bezeichnet. Er beschrieb den „Animal Spirit“, den Lebensgeist der Wirtschaft, der sich in Wellen des Optimismus und des Pessimismus widerspiegelt. Dieser Geist sorge für eine ständige Abfolge von Konjunkturhöhen und -tiefen.

Verstärkt wird der psychologische Effekt freilich auch durch eine menschliche Schwäche, sich gerade in unsicheren Situationen an Gerüchte und Verschwörungstheorien zu nähren. So hieß es in den letzten Wochen etwa, dass große Handelsketten bald ihre Lebensmittel nicht mehr bestellen könnten, weil diese durch kurzfristige Kredite finanziert seien. Eine absurde Nachricht. Die Handelskette Billa kündigt als eine der wenigen für das Jahr 2009 sogar den Ausbau ihres Filialnetzes an. „Wir spüren nichts von der Krise“, heißt es dort.

Noch gibt es viele, die kaum oder gar nicht von den realen Einbrüchen betroffen sind. Nicht alle sind Autohändler, deren Kunden nur noch schwer Kredite für ihren Neuwagen erhalten. Dort, wo es um den normalen Alltagskonsum geht, hat sich bisher nichts geändert. „Es ist ein kleines Wunder, aber der Privatkonsum ist bisher überhaupt nicht weggebrochen“, sagt die WU-Expertin Fellner.

Doch auch das Vertrauen der Konsumenten könnte sich bald abschwächen. Dann nämlich, wenn Arbeitsplätze massiv abgebaut werden. Dann, so die einhellige Ansicht der Experten, sei wirklich Feuer am Dach. Deutschland bereitet für diesen Fall bereits ein ungewöhnliches Stimulierungsprogramm vor: Alle erwachsenen Bürger sollen einen 500-Euro-Konsum-Scheck erhalten, um den Privatkonsum wieder anzukurbeln.

Doch da droht schon das nächste psychologische Problem. Gelingt es nicht, mit milliardenschweren staatlichen Hilfen und Investitionsanreizen die Realwirtschaft wieder flott zu bekommen, wird auch die Angst vor einer Geldentwertung steigen. Pumpt der Staat nämlich weiterhin ohne positiven Effekt Milliarden in das festgefahrene Wirtschaftssystem, wird bald auch das Vertrauen in den Geldwert sinken. Island spielt diese nächste Abwärtsspirale bereits vor. Wirtschaftsexperte Breuss sieht diese Gefahr in Kontinentaleuropa allerdings erst längerfristig, derzeit gebe es dafür noch keinen Hinweis. Mit ein Grund ist der relativ stabile Euro.

Antizyklische Investitionen

Der Wirtschaftspsychologe Lutz von Rosenstiel sieht eine Krise, die sich bereits fest in den Köpfen verankert hat. „Wir glauben es.“ Und er verweist darauf, dass zurzeit manche antizyklischen Investitionen durchaus sinnvoll wären. Will beispielsweise eine Firma ihren Autopark erneuern, könnte sie mit den besten Konditionen rechnen. Selbst in der Baubranche oder im Anlagenbau würden sich neue Projekte lohnen. Denn der Stahlpreis, der zuletzt den gesamten Sektor belastet hat, ist wieder deutlich gesunken.

Doch woher soll das positive Signal kommen? „Wir bräuchten ein politisches Leadership wie jenes von Barack Obama“, ist Wirtschaftswissenschaftlerin Fellner überzeugt. Denn es geht nicht nur um Geld, sondern vor allem um ein neues Vertrauen in die Wirtschaft. Irgendwer müsse jetzt überzeugend sagen: „Yes, we can!“ Und tun.

WAS GIBT NOCH ANLASS ZUM OPTIMISMUS?

Der Privatkonsum boomt. Bisher ist der Konsum nicht weggebrochen. Das Geschäft läuft gut. Das Geld wird von Privatpersonen weiter ausgegeben, und nicht gespart.

Der Energiepreise sinken. Der drastische Rückgang des Ölpreises von 150 Dollar pro Barrel im vergangenen Juli auf nun unter 50Euro bringt zusätzliche Kaufkraft und stärkt die Wirtschaft.

Genügend Liquidität. Einige Banken haben noch genügend Geld gehortet. Sie könnten neue Investitionen ermöglichen, sobald das Vertrauen in die Wirtschaft wieder steigt.

Steuererleichterungen und Anreize für energiesparende Investitionen könnten die Aufträge in den betroffenen Branchen wieder in Gang bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2008)

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