US-Autoindustrie: Washington lässt Detroit nicht im Stich

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Die Politik will „Big Three“ mit einem Überbrückungs-Kredit von 15 Mrd. Dollar aus der Patsche helfen. Die breit angelegte Kampagne blieb nicht ohne Wirkung auf die Politiker.

WASHINGTON. Es war ein wenig so wie bei der alljährlichen Autoshow, die stets Anfang Jänner in Detroit über die Bühne geht und die internationalen Branchengrößen anzieht – und es war doch ganz anders. Vorne auf der Bühne hatten die großen US-Autofirmen drei blankpolierte weiße Modelle ausgestellt. Nur hatten sie diesmal die Kirche des „Greater Grace Temple“ zur Vorführung gewählt, und ringsherum tanzte, sang und betete der Chor der Pfingstkirche um Gottes Beistand – und um die Hilfe des Staats – in der schwersten Stunde des mächtigen Industriezweigs, einst Stolz der ganzen Nation.

Die „Big Three“ hatten nichts unversucht gelassen. Die Bosse waren – an der Seite der Gewerkschaftschefs – vor dem Kongress in Washington zu Kreuze gekrochen. Um eine Milliardenhilfe für die marode Industrie loszueisen, ließen sie sich Demütigungen durch die Abgeordneten gefallen.

Rick Wagoner, der umstrittene Chef von General Motors (GM), rang sich zu dem Eingeständnis durch: „Wir sind hier, weil wir Fehler gemacht haben.“ In einem ganzseitigen Inserat im Branchenmagazin „Automotive News“ warb man um Verständnis der Steuerzahler und entschuldigte sich für die gesunkene Qualität: „Wir haben Sie enttäuscht und ihr Vertrauen missbraucht. Wir haben unser Hauptaugenmerk auf dem US-Markt verloren.“

Und auch die einflussreiche Automobilarbeiter-Gewerkschaft machte mobil und erklärte sich zu Zugeständnissen bereit. Sie hatte ihren Mitgliedern zu stattlichen Pensionen und einer großzügigen Gesundheitsvorsorge verholfen, die das Kostenniveau im Vergleich zur Konkurrenz explodieren ließ. Einer virulenten Fusion von GM und Chrysler steht sie aber nach wie vor skeptisch gegenüber.

Rücktritt von GM-Chef?

Die breit angelegte Kampagne blieb nicht ohne Wirkung auf die Politiker – freilich nicht in dem erwünschten Ausmaß. Präsident George W. Bush ist deutlich auf die Bremse gestiegen. Statt der erhofften Soforthilfe von 34 Mrd. Dollar will der Kongress den Autobauern in den nächsten Tagen lediglich mit einem Überbrückungskredit von 15 Mrd. Dollar aus einem Fonds für Energiesparautos aus der Patsche helfen. Die Politik knüpft überdies strikte Bedingungen an das Rettungspaket, die ein Aufsichtsrat überwachen soll: Beschneidung der Managergehälter, keine Auszahlung von Dividenden.

Trotz aller Kritik an den Planungs- und Strategiefehlern der „Big Three“ formulierte ein Senator eine in Washington verbreitete Ansicht: „Wir können Detroit nicht im Stich lassen.“ Der designierte Präsident Barack Obama rügte die Haltung der Autoindustrie, den Kopf zu lange in den Sand gesteckt zu haben. Auf ihn kommt wahrscheinlich bereits in den ersten Amtstagen eine Verlängerung des Hilfspakets zu. Zu symbolträchtig ist die Autoindustrie in den USA, an der mehrere Millionen Arbeitsplätze hängen. Die USA stecken in einer Rezession, und allein im November ging eine halbe Million Jobs verloren.

Dennoch hält sich ernsthafter Widerstand gegen die Rettungspläne des Staates. Eine Mehrheit der US-Amerikaner lehnt Finanzhilfen für die als arrogant verschrienen Autofirmen ab, republikanische Abgeordnete drohen mit einem Veto für die Hilfsgelder im Senat. Skeptiker wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman warnen davor, Milliarden Dollar in eine Industrie zu verpulvern, die strukturell am Ende sei – und die nach zwei Monaten schon wieder einer neuen Finanzspritze bedürfe. „Time“ überschrieb seine Titelgeschichte: „Ist dies Detroits letzter Winter?“

Einer der großen Bosse dürfte indes die Krise nicht ohne personelle Konsequenzen überstehen. Der Ruf nach einem Rücktritt von GM-Chef Rick Wagoner wird immer lauter. Neue Strukturen mit neuen Köpfen fordern führende Senatoren. Im Gespräch für den Topjob sind Nissan-Chef Carlos Ghosn oder Sanierer Jack Welch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2008)

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