Kein Mittel gegen den Finanzinfarkt?

Wenn viel Geld bei der EZB verschimmelt, während die Wirtschaft einstürzt – dann läuft etwas gewaltig falsch.

Sie wissen nicht, wie es im kommenden Jahr wirtschaftlich weitergeht? Keine Panik: Sie sind in bester Gesellschaft. Auch Nationalbank, Wifo, IHS und andere nationale und internationale Prognoseprofis haben da keine Ahnung. Sie wissen nur, dass sich die Lage seit ein paar Monaten noch deutlich schneller verschlechtert, als sie ihre Prognosen nach unten anpassen können. Wir fahren, wie es der Präsident der Industriellenvereinigung vor Kurzem ausgedrückt hat, mit Vollgas in eine dichte Nebelwand. Und hoffen, dass dort keine Hindernisse herumstehen.

Was wir kennen, ist die Ursache der weltweiten Konjunkturmalaise: ein schlichter Infarkt des globalen Bankensystems. Die Geldtempel haben uns mit unverantwortlichen Luftgeschäften in die Malaise geritten. Und sie versagen jetzt bei der Krisenbewältigung.

Dass die Industrie- und Gewerbebetriebe seit Oktober Auftragseinbrüche erleben, wie sie sie in dieser Wucht noch nie gesehen haben, hat jedenfalls sehr viel mit der Finanzierung zu tun. Die ist seit der Lehman-Pleite im Oktober sowohl für Private als auch für Unternehmen deutlich schwieriger geworden. In anderen Ländern noch deutlich stärker als in Österreich. Die Nationalbank hat jedenfalls festgestellt, dass es seit Oktober zu einem „deutlichen Rückgang“ der Kreditgewährung kommt.


In der Praxis sieht das dann so aus: Ein halbwegs solventer Autokäufer, der vor einem Jahr in seiner Bank um einen 20.000-Euro-Kredit vorgesprochen hat, dem wurde wohl geraten, doch ein größeres Fahrzeug zu nehmen. Die Finanzierung: kein Problem. Kommt er jetzt mit demselben Begehr, wird er wahrscheinlich zuerst Stirnrunzeln und danach die Forderung nach endlosen Sicherheiten und Bürgschaften ernten. Die Folge: In wichtigen Automärkten (noch nicht in Österreich, aber das kommt schon noch) ist die Nachfrage um 20 bis 40 Prozent eingebrochen.

Und so geht es in allen Bereichen, egal, ob es ums Konsumieren oder ums Investieren geht. In einigen Branchen ist der Auftragseingang bereits so gut wie zum Stillstand gekommen.

Das verwundert ein bisschen, wenn man sieht, welche aberwitzigen Summen international (in Form von rückzahlbaren kurzfristigen Liquiditätshilfen) in den Finanzsektor hineingeschüttet worden sind: da ein paar hundert Milliarden von der amerikanischen Fed, dort ein paar hundert Milliarden von der europäischen EZB, hier ein paar hundert Milliarden von der japanischen BoJ, da ein paar hundert Milliarden von der russischen Nationalbank. Die riesigen Summen, die den Instituten jetzt im Rahmen der Bankenrettungspakete überlassen werden, noch nicht eingerechnet.

Wo um Himmels willen ist dieses Geld? Wenn auch nur ein Teil davon in der Wirtschaft angekommen wäre, müssten wir jetzt eher vor Konjunkturüberhitzung und Inflationsgefahr stehen statt vor dem stärksten Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg.

Ein tieferer Blick in die Notenbank-Statistiken zeigt das Problem: Die Einlagen der Banken bei den Notenbanken, die seit Menschengedenken auf relativ niedrigem Niveau liegen, sind seit dem Sommer gigantisch explodiert. Bei der EZB von rund 20 auf fast 300 Milliarden Euro. Bei der Fed fast doppelt so stark.

Zu Deutsch: Die Banken nehmen die Milliarden von Notenbanken und Regierungen – und legen sie gegen Zinsen gleich wieder sozusagen aufs EZB-Sparbüchel, statt was Vernünftiges damit zu machen.


Das ist nicht nur volkswirtschaftlich ziemlich kontraproduktiv (eigentlich müsste man sagen: hirnrissig) und schreit nach „Action“. Dafür braucht man nämlich wirklich weder Banken noch die dazugehörenden Rettungspakete. Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny selbst sagt, dass eine Verzinsung solcher Einlagen (also die Belohnung von volkswirtschaftlich unsinnigem Verhalten) „das falsche Signal“ sei. Also: Wieso werden diese Einlagen dann überhaupt noch verzinst?

Geld für die Abwehr der Wirtschaftskrise ist also offenbar da, es steckt nur im Bankenkreislauf fest. Die Bankenrettungspakete sollten jetzt genutzt werden, um diesen Kreislauf notfalls auch mit ordentlichem Druck (auch bei einer Herzmassage geht man ja nicht zimperlich vor) wieder in Gang zu bringen. Denn wenn Notenbank- und Steuerzahlergeld auf EZB-Konten verschimmelt, während draußen die Wirtschaft in eine Existenzkrise stürzt – dann läuft da irgendetwas ganz gewaltig falsch.

Alle brauchen das „Bankenpaket“ Seite 1
OeNB-Konjunkturprognose Seite 15

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

International

Alle Großbanken des Landes greifen nach Staatshilfe

Die vom Staat zur Verfügung gestellten 15 Milliarden reichen wegen des großen Andrangs nicht aus.
Die von der EU geforderte Verzinsung sorgt für Unmut. Einige Banken müssen nun mehr zahlen.
konjunktur
International

Von Wien bis Peking: Konjunkturprogramme im Überblick

Milliardenschwere staatliche Finanzhilfen sollen die drohende Wirtschaftskrise abwenden - und eine Balance zwischen Abschwung und neuen Schulden einhalten. Hier der Überblick.
konjunktur eu
International

Das Konjunkturprogramm der EU: Buntes Allerlei

Die EU-Kommission hat ihr Programm zur Belebung der Wirtschaft in Europa vorgestellt, das großteils 2009 und teilweise bis 2010 greifen soll. Hier die einzelnen Elemente des Pakets.
Österreich

Mitterlehner: „Der Staat kann nicht jede Insolvenz verhindern“

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner über die Rolle des „Retters Staat“, dessen Grenzen, fallende Rollbalken - und sein Verhältnis zu Sozialminister Hundstorfer.
Sozialminister Rudolf Hundstorfer
Österreich

Hundstorfer: "Besser Schulden, als nichts machen"

Es könne ein drittes Konjunkturpaket folgen, sagt der neue SP-Arbeitsminister Hundstorfer. Geld sei dafür momentan aber keines vorhanden. Die derzeitigen Maßnahmen seien jedenfalls nicht der Weisheit letzter Schluss.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.