Ein Gipfel der Ratlosigkeit

Mit Hyperaktivität gegen die Krise: Das Feilschen der EU-Chefs um große Zahlen offenbart Mangel an Ideen.

Angela Merkel war schon im Vorfeld dieses EU-Gipfels die Buhfrau: Ihre Kritik an der britischen Schuldenpolitik der Marke „Klotzen statt kleckern“ und ihre Skepsis gegenüber dem Prinzip der großen Zahl, das der hyperaktive Ratsvorsitzende Nicolas Sarkozy so authentisch vertritt, brachten ihr den Vorwurf ein, als zaudernde Bedenkenträgerin den wirkungsvollen Kampf der Europäer gegen die Krise zu behindern.

Auch nach der Gipfel-Einigung soll Merkel ihre Unzufriedenheit mit der Festschreibung von 1,5 Prozent des BIP als Untergrenze für das europäische Konjunkturpaket nicht verheimlicht haben – und zwar vollkommen zu Recht: Ob der Brüsseler Gipfel nun beschließt, dass 1,3 Prozent des europäischen BIP in ein Konjunkturprogramm fließen oder 1,5 Prozent, ist in der Sache vollkommen unerheblich. Da geht es zum überwiegenden Teil um die Positionierung und Profilierung der handelnden Politiker, allen voran Nicolas Sarkozy.

Es geht, schon substanzieller, auch um Psychologie: Man will der europäischen Bevölkerung glaubhaft vermitteln, dass die Regierungen willens und in der Lage sind, der größten Wirtschaftskrise seit den 30er-Jahren so zu begegnen, dass die Folgen von Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut nicht zu einer Bedrohung der demokratischen Grundordnung führen. Denn das ist die Angst, die im Hintergrund der gegenwärtigen Hyperaktivität wirkt: dass ein Totalabsturz der europäischen Volkswirtschaften jenen Ungeist der 30er-Jahre heraufbeschwören könnte, der den Kontinent schon einmal ins große Unglück gestürzt hat.

Gerade darin liegt aber auch eine Gefahr der Psychopolitik von Sarkozy & Co.: dass sie unerfüllbare Erwartungen in die Möglichkeiten des Staates weckt. Gerade die Konzentration auf die große Zahl zeigt, dass dieses Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs der Sache nach ein Gipfel der Ratlosigkeit war: Keiner der Politiker, die da um Milliarden und Prozente gefeilscht haben, kann die Kosten und Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen und damit ihren Einfluss auf die Dauer und Schwere dieser Krise auch nur annähernd abschätzen.

Massive Investitionen in Straßen, Brücken, Geleise und Bahnhöfe haben zwar direkte Auswirkungen auf das gegenwärtige BIP, sind aber in ihrer nachhaltigen Wirkung äußerst fraglich. Steuerliche Maßnahmen stellen zwar sicher, dass der Bürger direkt zu seinem Geld kommt, bergen aber das konjunkturelle Risiko, dass dieses Geld nicht in den Konsum fließt, sondern in die Erhöhung der Sparquote. Die Absicherung sogenannter „Schlüsselindustrien“ schließlich verhindert zwar unmittelbar den Verlust von Arbeitsplätzen in großer Zahl, kaschiert aber – wie das Beispiel Autoindustrie derzeit eindrucksvoll vor Augen führt – die Folgen einer verfehlten Geschäftspolitik und erhält Strukturen, die nicht wettbewerbsfähig sind.

Entscheidender als die Festlegung auf eine möglichst imposante Zahl wäre also eine Einigung darauf, welche Maßnahmen mit dem zur Verfügung gestellten Geld finanziert werden sollen. Das aber bleibt Entscheidung der einzelnen Mitgliedsländer, die ja auch den Hauptanteil der finanziellen Lasten zu tragen haben. Und da zeigt sich, wie sehr man nach wie vor auf die Retro-Modelle der 70er-Jahre vertraut, nicht zuletzt in Österreich.


Während in Sonntagsreden immer von „Zukunftsinvestitionen“ in Bildung, Forschung und Entwicklung die Rede ist, werden im wirklichen Leben die Forschungsmittel reduziert, mit dem fadenscheinigen Argument, dass sich am prozentuellen Anteil der Forschungsgelder am BIP ohnehin nichts ändere. Gewissermaßen als Ausgleich dafür rechnet man offensichtlich die Kosten für das Gratiskindergartenjahr ins Konjunkturpaket ein. Die Infrastrukturministerin glänzt derweil mit Angaben über Milliardeninvestitionen in Bahn und Straße, die entweder längst beschlossen oder in ihrer volkswirtschaftlichen Sinnhaftigkeit fraglich sind.

Die Kunst des Regierens in der Krise besteht darin, zukunfts- und wettbewerbsfähige Strukturen kurzfristig zu stützen, zugleich aber längst fällige Strukturbereinigungen zuzulassen. Allein das aktuelle Beispiel Post zeigt, wie wenig die österreichische Regierung mit diesem Denken anfangen kann. Das lässt befürchten, dass tatsächlich noch viele Milliarden in die Aufrechterhaltung der Illusion vom Staat, der alles kann, fließen werden.

Sie werden nicht zurückkommen, außer in Gestalt von Inflationsgefahr und Schulden, die die kommenden Generationen zu begleichen haben werden.

EU-Gipfel S. 1–3


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2008)

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