Vom Elend unserer Schulreformen und -reformer

Die Schule ist der Ort des Lernens. Darauf sind alle Reformgedanken zu konzentrieren.

Nun wissen wir es offiziell: Das Leistungsniveau der Schüler und Schülerinnen nach dem Besuch der Volksschule ist weiter gesunken. Wenn man auch gegen die Evaluationen seine Vorbehalte haben kann, so sind die Ergebnisse doch erschütternd; wenn z.B. jedes fünfte Kind nach der Volksschule nicht hinreichend lesen und schreiben kann. Jetzt rätseln alle über die Gründe. Der Hinweis auf das gegliederte Schulsystem zieht hier nicht. Auch die zahlreichen von „Experten“ gemachten Reformvorschläge hielten ihr Versprechen nicht.

Vielleicht liegt es daran, dass man nicht mehr weiß, was Lernen und Lehren ist. Weil man befürchten muss, dass nun neue Betriebsamkeit die Reformhektiker überfällt, soll hier versucht werden, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie ein Kind zu wirklichem Wissen, zu Einsichten kommt.

Wissen ist, wie einmal von Experten behauptet wurde, keine Ware, Schulen sind keine Dienstleistungsbetriebe. Dieses Denken ruiniert Schulen, Schüler und Lehrer. Das Lehren verkommt zu einer Art Verkaufsstrategie, mit Motivations- und Konditionierungsmechanismen. Wissen und sein Erwerb sind nur in der Anstrengung des eigenen Denkens möglich. Das kann der Lehrer dem Lernenden nicht abnehmen; aber er kann Hilfe leisten; Platon hat dafür das schöne Wort von der Geburtshilfe gebraucht.

Das Kind soll denken lernen

Wie ist nun diese Geburtshilfe zu leisten? Alles Lehren und Lernen hat einen gegenständlichen Inhalt. Dieser muss eindeutig sein, damit Lehrer und Schüler wissen, worum es im Lernprozess geht. Der Gegenstand schreibt auch vor, mit welchen Argumenten Aussagen über ihn begründet werden können. Im „neuen Lernen“ hat sich eine Didaktik entwickelt, die sich eher als Strategie in der Hand des Lehrers versteht und nicht als Methode, durch Argumente dem Schüler zu helfen, sein Wissen zu begründen. Die methodische Disziplinierung im lernenden Denken verhindert geschwätzige Betriebsamkeit, durch sie und in ihr lernt auch schon das Kind das Wichtigste, nämlich denken.

Wer lehren will, muss sich bemühen, den Schüler zu verstehen, sein Wissen und Nichtwissen. Daraus entspringt sein Fragen, und daran hängt der mögliche Erfolg. Verstehen ist mehr als das Testen oder Registrieren von Verhaltensweisen; es erwächst aus der Interesse nehmenden Achtung vor dem Kind.

Das große Hindernis für einen guten Unterricht, so sagt man, sei die Disziplinlosigkeit der Schüler. Das mag sein; und wenn die Disziplinierung vom Elternhaus nicht geleistet wird, muss die Schule die Möglichkeit haben, Disziplin vielleicht mit Sanktionen zu erzwingen. Große Hoffnungen setzen jetzt alle auf ein verbindliches Vorschuljahr. Hier sollen Kinder das lernen, was ihnen sonst nicht geboten wird, damit sie nicht von Beginn an in der Schule die Benachteiligten sind.

Wenn man mehr Leistung in der Schule will, kann man nicht antiautoritäres Gehabe propagieren und dem Schüler vorgaukeln, dass Lernen immer lustvoll sein müsse, ihm nicht verschweigen, dass Leistung und Anstrengung einander bedingen, Fleiß keine veraltete Tugend ist. Die Schule ist der Ort des Lernens. Darauf sind alle Reformgedanken zu konzentrieren. Das gilt besonders für die Lehrerbildung. Sie muss eine Forschung und Lehre betreiben, durch die und in der zukünftige Lehrer ein an Sinn gebundenes Fundament gewinnen: das unverzichtbare Ethos aller pädagogischen Praxis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2008)

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