EU-Gipfel: Das potemkinsche Milliardendorf

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Die 27 Staaten beschlossen in Brüssel ein 200-Milliarden-Programm für die Konjunktur. Doch real wird nicht einmal die Hälfte bereitgestellt. Mehr Schein als Sein steckt auch hinter dem Klimapaket.

Es ist doch seltsam: Normalerweise feilschen sie nächtelang, wenn es um gemeinsame Budgetbeschlüsse geht. Jede Million an Agrar- oder Strukturförderungen ist in der EU hart umkämpft. Doch am gestrigen Freitag beendeten die Staats- und Regierungschefs ungewöhnlich rasch ihre Sitzung in Brüssel und einigten sich auf ein stolzes 200-Milliarden-Konjunkturpaket. Außerdem verpflichteten sie sich zu einem Klimaziel, das laut groben Schätzungen der EU-Kommission weitere 50 bis 60 Milliarden Euro kosten dürfte. Insgesamt beschlossen die EU-Chefs damit Maßnahmen, die etwa doppelt so viel Mittel erfordern wie der gesamte jährliche EU-Haushalt mit derzeit 129 Milliarden Euro.

Es gibt aber einen guten Grund, warum die Einigung so rasch über die Bühne ging. Denn das Milliardenkonstrukt ist ebenso wie das Klimapaket zu einem guten Teil ein potemkinsches Dorf. In das 200-Milliarden-Konjunkturpaket dürfen staatliche Investitionen eingerechnet werden, die gar keine sind. Und auch die Einigung über das Klimapaket wurde nur erreicht, indem die Industrie nun 96 Prozent ihrer Verschmutzungszertifikate gratis erhält. Damit wird auf zusätzliches Geld für Investitionen in Umwelttechnik verzichtet. Ehrgeizig bleibt das Klimapaket hingegen bei den Plänen für die erneuerbare Energie und die Steigerung der Energieeffizenz.

Alte Maßnahmen eingerechnet

Die EU-Kommission schätzt, dass von den nun versprochenen 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung, die das gemeinsame Konjunkturpaket umfassen soll, vorerst lediglich 0,9 Prozent realisiert werden. Das anerkannte Brüsseler Bruegel-Institut kommt mit einer eigenen Berechnung von 13 wirtschaftsstarken EU-Ländern überhaupt nur noch auf einen Schnitt von 0,7 Prozent des BIP. „Die Regierungen rechnen vieles ein, das keine zusätzliche staatliche Investition ist“, kritisiert David Saha vom Bruegel-Institut im Gespräch mit der „Presse“. Dies betrifft etwa rückzahlbare Kredite, Haftungen und Garantien. Oft werden auch alte Maßnahmen mitgerechnet.

Nach dem EU-Plan soll jedes Land 1,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für ein Konjunkturpaket bereitstellen. Das sind insgesamt 170 Milliarden Euro. Aus dem EU-Budget sollen weitere 30 Milliarden hinzukommen. Deutschland erreicht nach eigenen Angaben derzeit knapp ein Prozent des BIP und will das Paket Anfang 2009 noch nachbessern. Doch laut den Experten des Bruegel-Instituts sind schon die bisherigen deutschen Zahlen unrealistisch. „Berlin kommt laut unseren Berechnungen für 2009 lediglich auf 0,6 Prozent des BIP“, sagt Saha. In seiner Rechnung sei nur eingerechnet worden, was die Staaten tatsächlich zusätzlich ausgeben oder an Steuersenkungen im Markt belassen.

Italien dürfte sein Konjunkturpaket überhaupt ermogelt haben: Das gesamte Fünf-Milliarden-Paket der Regierung Berlusconi ist laut Bruegel-Berechnung durch eine konsequentere Steuereintreibung gegenfinanziert. „Der italienische Staat steigt sogar mit einem Plus aus.“ Einige kleinere Länder wie Irland haben indessen überhaupt Probleme, das Geld für Konjunkturprogramme aufzubringen.

Österreich liegt im Spitzenfeld

Vergleichsweise gut schneidet laut der Analyse der Bruegel-Experten Österreich ab. Zwar sind die Ankündigungen von 1,7 Prozent des BIP auch hier etwas zu hoch gegriffen. Mit tatsächlichen zusätzlichen Mitteln in der Höhe von 1,14 Prozent des BIP liegt das Land aber im europäischen Spitzenfeld.

Laut Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) stehen insgesamt 5,5 Milliarden bereit, um die heimische Wirtschaft zu stimulieren. Den Löwenanteil bildet die vorgezogene Steuerreform mit einem Volumen von 2,2 Milliarden Euro. Eine weitere Milliarde soll in Mittelstandsförderung und in Infrastrukturmaßnahmen fließen. Laut Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) wird das Geld etwa in Form von Krediten und Haftungen für Klein- und Mittelbetriebe bereitgestellt.

Angekündigt sind darüber hinaus weitere 1,9 Milliarden Euro für Bauprojekte, Forschung und die Familienförderung. Das Bruegel-Institut hat auch hier staatliche Kredite und Haftungen herausgerechnet.

Neben Österreich erhalten in der Bruegel-Analyse auch Spanien und Großbritannien gute Noten – wobei die Briten vor allem auf Steuersenkung setzen. Ob allerdings diese Maßnahmen die Wirtschaft tatsächlich stimulieren können, wird von vielen Ökonomen stark in Zweifel gezogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2008)

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