Veit Sorger: „Die Krise wird schlimmer, als wir erwartet haben“

Veit Sorger
Veit Sorger(c) AP (Ronald Zak)
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Industrie-Präsident Veit Sorger glaubt nicht, dass die Rettungspakete ausreichen, und hält einen Rückgang um drei Prozent für „plausibel“.

Die Presse:In Deutschland wird für 2009 eine Schrumpfung der Wirtschaft um drei Prozent nicht mehr ausgeschlossen. Trifft sich diese düstere Prognose mit Ihren Beobachtungen?

Veit Sorger: Ich bin der Letzte, der Katastrophen ansagt, aber nach unseren Ziffern ist ein massiver Abschwung da. Wenn jetzt drei Prozent Abschwung prophezeit werden, dann habe ich keine gestützten Gegenargumente, dass das so nicht kommen wird.

Eine viel schwerere Rezession als bisher erwartet ist also plausibel?

Sorger: Ja, das muss man so zur Kenntnis nehmen.Ich glaube aber nach wie vor, dass wir bei konsequenter Fortsetzung unserer Bemühungen und bei klugem Vorgehen der Politik und der Betroffenen besser als manches Nachbarland durch diese Zeit durchkommen können. Aber das bedarf großer Anstrengungen.

Ist die Regierung mit ihren Konjunktur- und Bankenpaketen da auf dem richtigen Weg?

Sorger: Ich habe jetzt zwei positive Beobachtungen gemacht: Der jüngste Auftritt der Regierungsspitze in Brüssel war überaus gelungen. Da ist das Bestmögliche gemacht worden, um unsere Positionen zu unterstützen. Zweitens: Die jüngste Aussage des Bundeskanzlers in Richtung einer Lockerung der Nichtprivatisierungsstrategie bei den ÖBB zeigt doch, dass da eine gewisse Verhandlungsbereitschaft Platz greift. Das ist ein sehr gutes Signal. Mit der Steuerreform, den Konjunkturpaketen 1 und 2 sowie dem Bankenpaket, wenn es jetzt endlich kommt, sind wir jedenfalls nicht schlecht aufgestellt.

Kritiker meinen, dass die beiden Konjunkturpakete mit ihrem eindeutigen Fokus auf die Bauwirtschaft eine zu eingeschränkte Antwort auf diese umfassende Krise sind.

Sorger: Ich bin mir auch nicht sicher, ob das ausreicht. Aber ich bin dagegen, dass man jetzt alles in den Korb gibt – und sich damit der Gefahr aussetzt, dass man die Übersicht verliert. Man soll sich jetzt auf die beschlossenen Maßnahmen konzentrieren, bevor man die nächsten Schritte setzt. Man soll sich nicht verzetteln und Dinge zusagen, die vom Volumen her gar nicht umsetzbar sind. Bei der Forschungsfinanzierung muss aber jedenfalls viel mehr getan werden.

Bis das konjunkturwirksam wird, ist die Krise doch längst wieder vorbei.

Sorger: Stimmt schon, das wird nicht sofort konjunkturwirksam. Aber wir müssen gerade jetzt in der Krise das Richtige tun, damit wir nachher gut aufgestellt sind.

Das Bankenrettungspaket kommt nicht recht in die Gänge. Woran liegt das denn?

Sorger: Es ist nun einmal das größte Paket und wir haben so etwas, im Gegensatz zu Konjunkturpaketen, noch nicht gemacht. Jetzt müssen noch die Positionen ausverhandelt werden. Da gibt es die Vollverstaatlichung bei der Kommunalkredit, die Beteiligung mit Partizipationskapital und eine Minderheit von Banken, bei der der Staat auch direkte Eigentümerschaft übernehmen wird müssen. Es gibt Unternehmen, für die es aus bilanziellen Gründen wichtig ist, noch in diesem Jahr abzuschließen, und solche, für die das nicht so wichtig ist. Es könnte natürlich schneller gehen, aber wichtiger ist die Qualität der Lösung.

Die früher angesprochene Teilverstaatlichung von Banken geht aber in eine Richtung, die Ihnen ideologisch nicht nahestehen dürfte.

Sorger: Nein, das ganze Bankenpaket kann nur eine vorübergehende Konstruktion sein. In fünf Jahren wird hoffentlich Schluss sein. Dort, wo eine echte Teilverstaatlichung unabdingbar ist, muss es dann zu Rückprivatisierungen kommen. Die Träumereien, dass der Staat jetzt der große Retter ist, sind durch nichts zu erhärten. Der Staat gibt jetzt Hilfe – hoffentlich keine verlorene – und hat sich dann schleunigst wieder zurückzuziehen. Alles andere ist undenkbar.

Bisher hat das Bankenhilfspaket die Kreditvergabe jedenfalls nicht sichtbar in Schwung gebracht.

Sorger: Ich höre, dass die Ausnützung des Haftungsrahmens (der Staat garantiert im Rahmen des Bankenpakets für 75 Milliarden Euro, Anm.) nur sehr zögerlich vor sich geht. Mit der Folge, dass zu wenig Anleihen aufgelegt werden und damit das Kapital an die Unternehmen – beispielsweise für Investitionen – nur sehr zögerlich fließt. Das muss wirklich beschleunigt werden. Denn die schönsten Konstruktionen nützen uns nichts, wenn die Unternehmen nicht mit ausreichend Geld versorgt werden. Die Finanzierung findet derzeit jedenfalls sehr zögerlich statt.

Die Nationalbank hat kürzlich angedeutet, dass die 15 Milliarden Euro für Kapitalbeteiligungen an Banken nicht ausreichen könnten. Sehen Sie das auch so?

Sorger: Ich habe ziffernmäßig kein Indiz dafür. Aber ich sehe, dass die Krise schlimmer ist, als wir sie uns alle vorgestellt haben. Daher schließe ich nicht aus, dass zur Überwindung dieser Krise entsprechende zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind.

Ist der scharfe Auftragseinbruch in der Industrie auch auf diese zögerliche Finanzierung zurückzuführen?

Sorger: Nein, das glaube ich nicht. Zumindest nicht nur. Da geht es um eine Summe von Entwicklungen, die darauf hinauslaufen, dass jeder seine Lager räumt. Investitionsentscheidungen werden allerdings aufgeschoben, weil Kredite schwer zu bekommen sind. Jetzt müssen wir beginnen, den Knoten zu lösen. Die Konjunkturpakete 1 und 2 sind da nicht die Welt, aber es ist ein guter Anfang.

Die Staatsquote wird jetzt kräftig ansteigen. In der Vergangenheit hat man gesehen, dass das nur sehr schwer wieder herunterzubringen ist.

Sorger: Absolut. Da kann man sich übrigens ein Beispiel an Deutschland nehmen. Die haben in den vergangenen Jahren aus einer viel schwierigeren Position heraus die Staatsschulden abgebaut. Immer von uns belächelt. Das Resultat ist jetzt ein ausgeglichener Haushalt. Wir haben den Staatshaushalt auch in der besten Zeit belastet. Das fehlt uns jetzt. Deshalb ist die jetzt notwendige höhere Verschuldung noch unerfreulicher.

Haben Sie den Eindruck, dass die Lage international im Griff ist? Die Senkung der US-Zinsen auf null Prozent sieht ja eher nach einem Verzweiflungsakt aus.

Sorger: Wenn es darum geht, den Finanzkreislauf in Bewegung zu setzen, dann ist das schon ein toller Stimulus. Die Amerikaner gehen gegen die Krise viel aggressiver vor. Barack Obama buttert jetzt sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Konjunkturbelebung. In Europa sind das nur eineinhalb Prozent. Ich glaube, das reicht nicht.

Wie ist denn Ihre Prognose für die Industrie im kommenden Jahr?

Sorger: Die Industrieproduktion ist im Oktober um fünf Prozent zurückgegangen, das ist dramatisch. Die Importe Chinas sind um 18 Prozent geschrumpft. Das ist noch dramatischer. Es wird also schlimmer werden. Die Industrie hat ein Auftragsloch von gut sechs Monaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2008)

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