Die Fed hat ihr Pulver verschossen

Ben Bernanke
Ben Bernanke(c) REUTERS (MOLLY RILEY)
  • Drucken

Die amerikanische Notenbank fürchtet Deflation und hat den Geldhahn voll aufgedreht. Auf den Aktienmärkten ist die Wirkung der Nullzinsen binnen Stunden verpufft.

Wien.Die erhoffte Wirkung der dramatischen Zinssenkung am Dienstag in den USA ist schnell verpufft. Selbst die Aussicht, dass Banken jetzt Gratisgeld von der Notenbank bekommen, hat die Finanzmärkte nicht stabilisiert: Nach einem kurzen Freudensprung Mittwochabend waren die Börsenkurse am Donnerstag weltweit schon wieder auf Talfahrt. Besonders stark betroffen waren Bankaktien – dabei sollten gerade diese von der Versorgung mit Gratisgeld profitieren.

Einer der Gründe: Die besonders radikale Zinssenkung wurde vom Markt ein wenig kontraproduktiv aufgefasst. Als Signal nämlich, dass es der US-Wirtschaft wirklich besonders schlecht geht.

Um die immer schneller abstürzende US-Konjunktur aufzufangen, hat die amerikanische Notenbank ihren Leitzins Dienstagabend (wie in einem Teil der Mittwoch-Ausgabe berichtet) drastisch auf praktisch null (Bandbreite null bis 0,25 Prozent) gesenkt. Zum Vergleich: Im August vorigen Jahres sind die US-Leitzinsen noch bei 5,25 Prozent gelegen.

Null Prozent Zinsen heißt, dass die US-Notenbank jetzt endgültig ohne Rücksicht auf Verluste (bildlich gesprochen) die Gelddruckmaschinen angeworfen hat: Die Gefahr einer Deflation (sinkendes Preisniveau, das zu einer starken Schrumpfung der Wirtschaft führt) wird von den Notenbankern offenbar so gravierend eingeschätzt, dass sie jetzt ohne Rücksicht auf Verluste Geld in die Märkte pumpen wollen.

Gehäufte Krisensignale

Tatsächlich haben sich die Krisensignale in den vergangenen Tagen gehäuft: Auf Monatsbasis ist die Inflationsrate in den Negativbereich gerutscht, Analysten rechnen bereits mit einer Schrumpfung der amerikanischen Wirtschaft um fünf Prozent im kommenden Jahr. Einen derart dramatischen Einbruch hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben.

Das Zinspulver der Amerikaner ist damit aber verschossen: Unter null kann der Leitzins der Notenbank nicht sinken. US-Notenbankchef Fred Bernanke hat freilich angekündigt, dass die Zinsen „for some time“ auf null bleiben werden (was nicht auf ein schnelles Ende der Krise schließen lässt) und dass die Notenbank weitere Mittel anwenden wird, um Banken mit Geld zu versorgen. So könnten beispielsweise den wackelnden Hypothekenfinanzierern zwecks Liquiditätsversorgung Staatsanleihen abgekauft werden.

Ein Problem hat die Fed mit ihren Nullzinsen aber noch nicht gelöst: Die Banken geben das billige Geld der Notenbanken nach wie vor in viel zu geringem Ausmaß in Form von Krediten an die Wirtschaft weiter. Die Betrugsaffäre um den Wall-Street-Zocker Madoff, dessen 50-Milliarden-Dollar-Ding von den Aufsichtsbehörden nicht bemerkt worden war, hat sogar erneut für gewaltiges Misstrauen im Finanzbereich gesorgt.

Zwei Dinge hat die US-Notenbank mit ihrer Zinssenkungsaktion aber jedenfalls erreicht: Der Dollar ist in die Knie gegangen. Und die Europäische Zentralbank, die noch an einem Leitzinssatz von 2,5 Prozent festhält, ist stark unter Druck gekommen.

Für einen Euro, der vor Kurzem noch um 1,26 Dollar zu haben war, mussten gestern in der Spitze bis zu 1,44 Dollar auf den Tisch gelegt werden. Das trifft die ohnehin schon mit ernsten Absatzproblemen kämpfende europäische Exportindustrie zusätzlich. Experten glauben, dass der Euro bis zu einer eventuellen Zinssenkung der EZB im kommenden Jahr noch deutlich zulegen könnte.

Auch EZB wird reagieren

Diese Zinssenkung dürfte im Jänner erfolgen – und sie wird wohl auch recht kräftig ausfallen. EZB-Ratsmitglied Axel Weber sagte am Donnerstag, auch die EZB sei bereit, mit ihren Zinsen im Kampf gegen den Wirtschaftsabschwung auf ein „historisches Tief“ zu gehen. In der (freilich noch kurzen) Geschichte der Euro-Zentralbank war der Leitzins noch nie unter zwei Prozent gesunken.

Weber schränkte freilich ein, die EZB habe noch keine Erfahrungen mit so niedrigen Zinsen und werde deshalb „äußerst vorsichtig“ agieren. Das heißt, dass die Euro-Notenbank ihre Zinsen beim kleinsten Zeichen der Wirtschaftserholung wieder hochfahren wird, um eine mögliche Inflation im Keim zu ersticken.

(c) Die Presse / GK

Dass die Amerikaner mit ihren Nullzinsen am Ende des Zinsspielraums angelangt sind, macht Experten etwas ratlos: Wenn jetzt nicht bald „harte Fakten“ in Richtung einer Konjunkturwende auftauchen – dann sei das Ganze nur ein Zeichen, wie tief die Krise sei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.