Leitartikel: Kanonendonner, der verhallt

Die dramatische Zinssenkung in den USA reicht offenbar nicht, um wieder Vertrauen zu schaffen.

Wie verunsichert die Finanzwelt derzeit ist, hat man gestern eindrucksvoll präsentiert bekommen: Da verschießt die US-Notenbank Fed ihr gesamtes schweres Arsenal und setzt den Leitzins erstmals seit mehr als 50 Jahren auf null. Und die Reaktion der Finanzmärkte? Nach kurzem Jubel darüber, dass sich die Banken jetzt für einige Zeit bei der Notenbank gratis refinanzieren können, kehrt schon am Tag eins nach dem Zinsenknaller wieder der gewohnte Katzenjammer ein. Nach der Devise: „Um Himmels willen, was weiß die Fed und wie schlecht muss es der Wirtschaft wirklich gehen, wenn sich die Notenbanker zu einem derartigen Schritt entschließen?“

Jetzt hilft nur noch hoffen. Denn zumindest die im Epizentrum der globalen Krise lebenden Amerikaner haben ihr zinspolitisches Pulver jetzt verschossen. Unter null geht nicht – außer man legt jeder Bank, die sich herablässt, Geld von der Notenbank zu nehmen, noch was drauf. Natürlich hat die Fed noch ein paar Möglichkeiten, die sie auch angedeutet hat. Beispielsweise den direkten Ankauf von Staatsanleihen, mit denen die Notenbank etwa die Hypothekenfinanzierer liquid halten könnte. Aber das eigentliche Pulver ist verschossen.

Jetzt ist nur noch der gewählte, aber noch nicht amtierende Präsident Obama am Zug. Sein Billionenkonjunkturprogramm muss greifen. Sonst sieht es für die größte Volkswirtschaft der Welt – und damit wohl auch für den Rest des Globus – wirtschaftlich ziemlich düster aus. Wirtschaftsanalysten sind optimistisch, dass das klappen wird. Hoffen wir, dass sie diesmal besser liegen als mit ihren Voraussagen der letzten Monate, die allesamt in atemberaubendem Tempo nach unten korrigiert werden mussten.

Das Problem, das sie haben: Zu vieles liegt noch im Dunkeln. Beispielsweise das Schicksal der amerikanischen Autoindustrie. Mag sein, dass die drei großen Autosaurier ihren drohenden Untergang selbst verschuldet und damit verdient haben. Aber an ihnen hängen direkt und indirekt an die drei Millionen US-Arbeitsplätze. Welche Schockwellen ein derartiges Anwachsen der Arbeitslosenzahl mitten in der schwersten Krise der vergangenen Jahrzehnte nicht nur in den USA, sondern rund um den Globus auslösen würde, wollen wir uns lieber nicht ausmalen.

Aber auch die Finanzbranche selbst, deren Übermut die Krise erst ermöglicht und ausgelöst hat, ist noch lange nicht über dem Berg. Im Gegenteil: Seit ein paar Tagen ist die Verunsicherung wieder verdammt groß. Seit nämlich klar ist, was unter den Augen der Aufsichtsbehörden alles möglich ist. Der Fall Madoff beispielsweise, wo ein eloquenter Finanzhai mit einem pyramidenspielartigen Betrugssystem einen Schaden von unfassbaren 50 Milliarden Dollar anrichten konnte, bevor die Alarmsirenen zu schrillen begannen.

Wenn so etwas unbemerkt bleiben konnte, welche Bomben können dann noch in den Kellern weitgehend unregulierter Finanzinstitutionen schlummern?, fragen sich viele. Und so lange diese Unsicherheit nicht beseitigt ist, wird sich auch der Knoten im Finanzsystem nicht auflösen, der die Realwirtschaft stranguliert.


Die Regierungen, nicht nur die amerikanische, werden also sehen müssen, dass Bankgarantien und Milliarden, die überwiegend in die Bauwirtschaft fließen, nicht reichen. Es muss auch auf politischer Ebene etwas geschehen. Etwa durch eine radikale Reform der Finanzaufsichtsbehörden, die auf völlig verlorenem Posten stehen, weil es kaum internationale Kooperation gibt und die Sanktionsmöglichkeiten sehr eingeschränkt sind. Oder bei den Finanzmarktregularien, die international verankert werden müssen. Und zwar so, dass sie unkontrollierte Exzesse unmöglich machen, die für die Realwirtschaft wichtige Finanzbranche aber nicht zu Tode regulieren. Nur so kann wieder das Vertrauen hergestellt werden. Da passiert sicherlich noch zu wenig. Aber es passiert wenigstens etwas. Vor allem in den USA.

In Europa allerdings regiert zumindest auf Zentralbanken noch gefährliche Bedächtigkeit. Nicht einmal die vergleichsweise üppigen Zinsen, die europäische Banken für ihre Einlagen bei der EZB bekommen, wurden bisher gesenkt. Ein besonderer Schildbürgerstreich: So darf man sich nicht wundern, wenn die Geschäftsbanken ihre Liquidität lieber gut verzinst bei der EZB parken, statt sie mit mehr Risiko in die Wirtschaft zu stecken. Der Krisenbewältigung hilft das aber nicht unbedingt.

Verpuffte Zinssenkung Seite 1
Interview mit IV-Präsident Veit Sorger Seite 2


josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2008)

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