Verfolgungsjagd in Wien: Polizei feuert zwölfmal auf Tobenden

SCHUSSWECHSEL IN FAVORITEN
SCHUSSWECHSEL IN FAVORITEN(c) APA (KARL NIKOWITZ)
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Ein 48-Jähriger wurde in Wien-Favoriten durch vier Schüsse verletzt. Er war mit Besenstiel und Messer bewaffnet. Zu den Hintergründen des Einsatzes hüllte sich die Wiener Polizei vorerst in Schweigen.

WIEN. Blaulicht, Verfolgungsjagd, zahlreiche Schüsse, ein von mehreren Polizeiprojektilen getroffener Mann, der auf der Straße von Uniformierten überwältigt wird: Für Anrainer im Bereich Van-der-Nüll-Gasse/Troststraße (Favoriten) begann der gestrige Mittwoch erschreckend. Ein 48-Jähriger, gegen den es Beschwerden von Nachbarn gegeben hatte, sollte von der Polizei überprüft werden. Als die Beamten gegen acht Uhr in der Wohnhausanlage eintrafen, erwartete sie der Mann im Innenhof – mit einem Besenstiel. Er ging damit auf einen Beamten los und verletzte ihn schwer am Kopf. Dann flüchtete er – zusammen mit seinem Hund – aus dem Hof. Dabei soll er ein Messer in der Hand gehabt haben. Auf der Straße gaben die Uniformierten mehrere Schüsse auf den 48-Jährigen ab. Die Polizei spricht von zwölf abgefeuerten Kugeln. Vier trafen den Flüchtenden in Oberarm, Unterschenkel und Schulter. Mit schweren Verletzungen wurde er schließlich mitten auf den Schienen der Straßenbahnlinien O und 67 von Polizisten überwältigt. Der Einsatz von Mittwochfrüh lässt vorerst einige Fragen offen. Vor allem: War es notwendig, dass die Polizisten so viele Schüsse auf den Flüchtenden abgaben? Von zwölf Schüssen trafen – so der Ermittlungsstand Mittwochabend – vier den Mann. Die restlichen blieben in Hausmauern und Fahrzeugen stecken. Ein Pkw soll während der Vorbeifahrt am Tatort von zumindest einem Schuss getroffen worden sein. Verletzt wurde außer dem Randalierer und dem Polizisten niemand.

Bei der Exekutive spricht man von einer „Extremsituation“. Gerhard Haimeder vom Landeskriminalamt verteidigt das Vorgehen der Uniformierten. „Wenn der Angreifer einen Beamten wegen einer harmlosen Amtshandlung niederschlägt, was macht er dann bei einem harmlosen Passanten?“ Jedenfalls habe man zunächst versucht, den Tobenden mit Pfefferspray zur Räson zu bringen. Besonderes Pech: Der Wind verhinderte, dass der Inhalt des Sprays in die Richtung des 48-Jährigen blies. Dann – so die Darstellung der Polizei – habe der Beamte, der geschossen habe, zunächst Warnschüsse abgegeben. Erst als der Flüchtende darauf nicht reagierte, soll er gezielt geschossen haben.

Laut Waffengebrauchsgesetz ist ein Waffengebrauch nur dann zulässig, wenn ungefährliche bzw. weniger gefährliche Maßnahmen oder „verfügbare gelindere Mittel“ ungeeignet scheinen oder wirkungslos sind.

„Nicht auf Nahkampf einlassen“

Zu den Hintergründen des Einsatzes hüllte sich die Wiener Polizei am Mittwochnachmittag in Schweigen. Sie verwies nur auf die Staatsanwaltschaft. Dort sagte deren Sprecher Gerhard Jarosch allerdings, über Details wisse er nicht Bescheid. Die Untersuchung zu diesem Fall würde gar nicht von der Wiener Behörde geführt werden. Damit nicht der Anschein der Befangenheit aufkomme.

Ein Experte der Sondereinheit Cobra erklärte der „Presse“: Selbst Mitglieder der Spezialeinheit würden sich bei einem Angriff mit einer Klingenwaffe nicht auf einen Nahkampf einlassen. Die Risken seien einfach zu groß. Um Kollateralschäden zu vermeiden, sind nicht tödliche Waffen im Gespräch. Seit 2005 werden in Österreich Taser getestet, unter anderem bei den Spezialkräften Cobra und Wega. Die Waffen verschießen zwei Nadeln, die durch Elektroschocks Personen außer Gefecht setzen sollen. Das verwendete Modell X26 ist aber laut Rudolf Gollia, Sprecher des Innenministeriums, nur bis zu einer Reichweite von etwa fünf, maximal sieben Metern effektiv. Es sei nicht geplant, Taser zur Standardausrüstung von Streifenpolizisten zu machen.

2007 sind bei insgesamt 246 Amtshandlungen in ganz Österreich verschiedene Waffen (Stöcke, Pfeffersprays etc.) zum Einsatz gekommen. In sechs Fällen wurden Schusswaffen gegen Tatverdächtige eingesetzt und die Betroffenen dabei schwer verletzt. Damit liegt man im internationalen Vergleich im EU-Durchschnitt.

Prozess gegen falsche Polizisten

In einem anderen Fall von Schusswaffengebrauch wird seit Monaten von der Staatsanwaltschaft (StA) Eisenstadt ermittelt. Im Zentrum der Untersuchung stehen drei Exekutivbeamte des Landeskriminalamts Niederösterreich. Diese hatten eine Amtshandlung gegen drei Rumänen durchgeführt, die sich seit Mitte März als „falsche Polizisten“ ausgegeben hatten. Auf diese Art hatten die Rumänen ausländische Fahrzeuge angehalten und den Lenkern Geld abgenommen. Am 19. April gingen die Rumänen den drei Beamten in die Falle. Als die Täter flüchten wollten, fielen Polizeischüsse. Einer der „falschen Polizisten“ starb. Die anderen wurden verletzt, sie müssen sich, heute, Donnerstag, im Landesgericht Korneuburg wegen Diebstahls verantworten. Ob wegen des – möglicherweise unerlaubten – Schusswaffengebrauchs auch die Beamten vor Gericht müssen, steht noch nicht fest. Die Ermittlungen würden „noch einige Wochen“ dauern, sagte Alexandra Maruna, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Eisenstadt am Mittwoch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2008)

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