Heinrich Breloer hat Thomas Manns Familienroman neu verfilmt. Konventionell, effektiv, rührend.
"Du hast recht bekommen, ich beuge mich, dachte Christian, und mit einer raschen, unbeholfenen Bewegung ließ er sich auf ein Knie nieder und küsste die kalte Hand auf der Steppdecke.“ Die letzte Begegnung der einander entfremdeten Buddenbrooks-Brüder – Thomas liegt auf dem Totenbett – schildert Thomas Mann wie tiefgefroren, alles ist kalt, nicht nur die Hand des Toten. Es bleibt der armen Klothilde, der Nebenfigur aus einer Nebenlinie, zu klagen: „Ich habe keine Tränen mehr.“
In Heinrich Breloers Film sagt Christian diesen Satz. Er sagt ihn am Sarg, während eines langen Monologs, einer letzten Abrechnung, er bekennt statt Klothilde, dass er keine Tränen mehr habe, dann schreit und schluchzt er, bricht auf der Leiche zusammen. Es ist zu viel.
Unpassende Sexszene
Es ist – wie viele Szenen in diesem Film – ein Versuch, der Gefühlsintensität der Romanvorlage gleichzukommen. Doch wo Mann seine berühmten drei Punkte wirken lässt (...), dort kann der Film nicht innehalten. Zumindest dieser nicht. „Nichts Unausgesprochenes zehrte an ihr; kein stummes Erlebnis belastete sie“, heißt es in den „Buddenbrooks“ über die unglückliche Tony, bevor das vorletzte Unglück, der Tod ihres Bruders, über sie kommt. Das trifft auch auf diesen Film zu: Er will alles aussprechen, alles offen zeigen. Er blickt den Särgen ins Grab nach und den Liebenden ins Bett, bis zu einer ganz unpassend in die Handlung gefügten Sexszene mit Gerda und Thomas. Er lässt Hanno, den untüchtigen Letzten der Buddenbrooks, die Familienchronik dick durchstreichen und nicht nur, wie im Roman, einen Schlussstrich ziehen.
Er ist plakativ. Er setzt – und das, wo Musik in den „Buddenbrooks“ so wichtig ist! – charakterlose Kitschmusik ein. Dass er – dennoch wirkt und dem Roman, soweit das irgend möglich ist, gerecht wird, liegt vor allem an den Schauspielern, die die zentralen Figuren, die drei Geschwister, spielen. Mark Waschke ist ein Thomas mit Tiefe, der glaubhaft älter und müder wird, dessen Gesicht allmählich zur Maske wird, die er aufsetzt, um den Schein zu wahren, während seine Kräfte abnehmen. Einen Schlüsselsatz lässt ihn Breloer – der sonst wenig wörtlich übernommen hat – still und ergreifend sprechen: „Ich bin geworden, wie ich bin, weil ich nicht so werden wollte wie du“, sagt er bei der letzten (lebenden) Konfrontation mit Christian. In dessen Darstellung wurde darauf verzichtet, seinen frühen körperlichen Verfall drastisch zu zeichnen, August Diehl darf sogar sein Haupthaar behalten und mit der ordinären Aline Puvogel (Nina Proll) herzlich sein. Auch sein Gesicht wird zur Maske, aber es ist die geistige und moralische Zerrüttung, die es formt, nicht das Ankämpfen gegen diese.
Jessica Schwarz ist eine entzückende Tony, mit einer Unterlippe, in die sich verständlicherweise alle verlieben. Im Film sogar Hermann Hagenström, Repräsentant jener Familie, die aufblüht, während die Buddenbrooks verfallen. Breloer lässt Tony zu Beginn mit Hagenström Walzer tanzen und ihn dann (zu Mitternacht, in einer Aschenputtelanwandlung) jäh verschmähen.Sein männlich schönes Gesicht kommt stets groß ins Bild, wenn sie ein Unglück trifft: Dieses Leitmotiv hat Breloer dazuerfunden, und es passt – auch als Parallele zum Gesicht des von Thomas als nicht standesgemäß verschmähten Blumenmädchens (Anja Schöne), dessen große, tiefe, schöne Augen auf Thomas blicken, wenn er dem Verfall näher kommt. Überhaupt überträgt Breloer die Leitmotivtechnik Thomas Manns gut ins Medium Film: Bei ihm sagt Tony zwar nicht lebenslang die Sätze, die sie von ihrer Sommerliebe, dem Medizinstudenten Morten, gelernt hat, aber sie hält sich am Bernstein, den er ihr geschenkt hat, fest.
„Das Geld will sich vermehren“
Hinter all der Liebe, all dem Leid steht, als erster Beweger, das Geld – und die Substanz, mit der es vermehrt wird: das Getreide, im Wind und im Hagel. Breloer zeigt beides, zeigt die Säcke, die Speicher, die Arbeit. „300.000! Das muss Liebe sein!“, sagt der betrügerische Grünlich, bevor sein Schwiegervater, der Konsul, mit ihm abrechnet, in schwungvollen Zahlen. „Das Geld will sich vermehren“, hört Thomas, just bevor er seine Vermählung mit Gerda angeht; und Christian darf seinen skandalösen Sager, dass jeder Geschäftsmann ein Gauner sei, ergänzen: „Wo käme sonst der Profit her?“
Auch das wirkt nicht platt in diesem konventionellen, opulenten, aber wirksamen Film. Dem man oft anmerkt, dass in der Endproduktion viel weggeschnitten wurde. Wenn etwa Christian an Thomas' Sarg „Äußerlich bist du glatt und geleckt, aber innerlich, da bist du swärz“ sagt, dann wird das nur als Redensart des alten Zeichenlehrers verständlich, und der ist nie vorgekommen...
Überhaupt: Wer das Buch nicht gelesen hat, wird es, um viele Szenen erst zu verstehen, nachträglich lesen müssen. Was ja nicht der schlechteste Effekt ist.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2008)