Boxkampf "Rumble in the Jungle": Ein Naturereignis

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Vor 40 Jahren fand der legendäre Boxkampf zwischen George Foreman und Muhammad Ali statt. Ein Zeitzeuge erinnert sich.

Frankfurt. „You beat cancer and I beat Foreman!“ Aufmunternd und hartnäckig redet Muhammad Ali auf einen von Chemo gezeichneten Jungen ein. Der an Leukämie leidende Jimmy hat mit seinem Vater den „Größten“ in dessen Trainingscamp Deerlake besucht. Sein großer Wunsch. Die drei sitzen auf einem Sofa in einem der Blockhäuser. Gene Kilroy, der Businessmanager, macht ein Foto. Wochen später ruft der Vater an. Jimmy sei im Krankenhaus. Er werde es wohl nicht schaffen. In aller Herrgottsfrüh brechen Ali und Kilroy zu einer zweistündigen Autofahrt in das Hospital der University of Pennsylvania in Philadelphia auf.

Ali bringt das Foto signiert mit, auf dem die Botschaft steht, die er im Krankenzimmer gebetsmühlenartig wiederholt: „Jimmy, ich habe dir doch gesagt: Du besiegst den Krebs und ich besiege George Foreman. Und so wird es sein.“ Der Junge erwidert: „Nein, ich werde Gott treffen und ihm erzählen, dass ich ein Freund von dir bin. Vielleicht bekomme ich dadurch einen besseren Platz im Himmel.“ Bald darauf stirbt Jimmy. Ali sagt zu Kilroy, er sei zu traurig, um mit zur Beerdigung zu fahren.

Dies ist eine der vielen, bisher kaum bekannten Anekdoten, die die neue, gerade erschienene, sehr rührende Dokumentation „I Am Ali“ erzählt. Obwohl der Film in den letzten drei Jahren gedreht wurde, mit den Erinnerungen von über einem Dutzend Protagonisten (u. a. der 2012 verstorbenen Trainerlegende Angelo Dundee, den Töchtern Muryam und Hana, der dritten Ehefrau Veronica, Joe Fraziers Sohn Jarvis, dem Football- und Filmstar Jim Brown, dem Sänger Tom Jones und Foreman), bleibt das Thema Parkinson bis auf eine kurze Erwähnung tabu. Der dahinsiechende Ali (72), dessen öffentliche Auftritte wie bei den Olympischen Spielen 2012 in London die Welt erschüttern, kann inzwischen kaum noch sprechen. Da ist das 40-Jahr-Jubiläum des legendären „Rumble in the Jungle“ am 30. Oktober ein willkommener Anlass, an den perfektesten Athleten auf dem Planeten von einst zu erinnern.

Wie die Mondlandung

Plakat kündigt den Kampf an.
Plakat kündigt den Kampf an.

Das spektakulärste Boxereignis aller Zeiten hält am 30. Oktober 1974, morgens um vier Uhr, im Stade du 20 Mai in der Hauptstadt Zaires die Welt in Atem. Der Showdown in Schwarzafrika sprengt die Dimensionen eines großen Boxkampfes. Eine Sensation wie die Mondlandung. Der charismatische Muhammad Ali, damals 32 Jahre alt, schlägt in einer feuchtheißen afrikanischen Tropennacht den für unbesiegbar gehaltenen George Foreman, 25, in der 8. Runde k. o. und wird siebeneinhalb Jahre nach seiner Verbannung vom Ring wegen Wehrdienstverweigerung wieder Weltmeister im Schwergewicht.

Treffpunkt mit den Kollegen von der Fleet Street ist das International Terminal London Heathrow. Reg Gutteridge vom „Evening Standard“ bringt zum Abflug nach Kinshasa die schlechte Nachricht mit: „Foreman hat im Sparring eine Platzwunde über dem rechten Auge erlitten.“ Der Kampf in einer Woche, am 25. September, muss verschoben werden. Wir fliegen dennoch. So beginnt das aufregende Abenteuer Afrika.

Auf der Taxifahrt vom Flughafen N'Djili in die schmuddelige Stadt mit ihren wenigen Hochhäusern, die auf Slumhütten herabblicken, künden grün-gelbe Tafeln entlang der staubigen Hauptstraße vom „Jahrhundertkampf als Geschenk des Bürger-Präsidenten Mobutu Sese Seko an das zairische Volk“. Foreman will zur Behandlung der Verletzung nach Paris fliegen. Der selbstherrliche Diktator mit der Leopardenfellmütze lässt dessen Reisepass beschlagnahmen. Das Ali-Lager hat dem Präsidenten eingeredet, der Weltmeister würde nicht zurückkommen.

Don King, ein schwarzer Exhäftling aus Cleveland, Ohio, mit einer wie unter Strom zu Berge stehenden Afro-Frisur, verurteilt wegen Totschlags, hatte die beiden Boxer mit je fünf Millionen Dollar, den höchsten Börsen der Boxgeschichte, und schwarzer Afro-Solidarität geködert.
Der geltungssüchtige Despot garantierte die zehn Millionen Dollar und ließ für die gleiche Summe das marode Stadion fernsehgerecht umbauen. Im präsidialen Herrschaftsbereich Mobutus, in N'Sele am Fluss Kongo, rund 60 Kilometer außerhalb Kinshasas, haben die beiden Boxer ihre Camps bezogen. Ali wohnt in einem weißen Bungalow direkt am Fluss. Die Tür scheint für jedermann offen. Foremans Villa auf einem Hügel ist hingegen hermetisch abgeriegelt. Für die Journalisten sind in dieser Einöde kleine weiße Villen reserviert. Der Salle de Congrès, nur hundert Meter von Alis Domizil entfernt, dient beiden Boxern als Trainingshalle.

Foreman kommt in blauer Latzhose in den Kongresssaal zur Pressekonferenz. Sein kolossaler Oberkörper ist nackt. An der Leine führt er seinen Schäferhund Pasha. Unter einer poppigen Schirmmütze klebt ein winziges Pflaster. „Ich allein entscheide, wann der Kampf stattfindet“, teilt Foreman den gerade erst eingetroffenen Presseleuten mit. Die Reporterschar fliegt wieder heim. Das neue Datum: 30. Oktober, vor dem ersten Hahnenschrei. Trotz Regenzeit.

Entertainer braucht Publikum

Ein überraschender Anruf aus London teilt mir mit, ich soll mich am Tag darauf in Paris einfinden. Mobutu hat einen Jet der Air Zaire nach New York geschickt, um den amerikanischen Medientross abzuholen. Bei der Zwischenlandung sollen die Engländer zusteigen. Da ich als einziger deutscher Reporter zur englischen Reisegesellschaft gehörte, die vergeblich nach Afrika geflogen ist, bin ich jetzt mit von der Freiflugpartie. Britische Kollegialität.

Muhammad Ali ist glücklich über die Rückkehr der Journalisten nach fünf Wochen quälender Langeweile. Der Entertainer braucht Publikum für sein Training, seine Tiraden, seine Shows, seine Reime. „When all is said and did und done, George Foreman will fall in one.“ Training ohne Presse ist für Ali wie Gottesdienst ohne Gemeinde. Vor lauter Langeweile, scherzt sein Trainer Angelo Dundee, habe er versucht, Eidechsen Liegestütze beizubringen. Auch den Reportern ist es hier draußen zu langweilig. Sie ziehen alle in die Stadt, ins Interconti, wo mittlerweile auch Foreman mit seinem Clan logiert, oder ins Hotel Memling. Wegen der Bars und der Telefonverbindungen.

Ali lädt mich in seinen weißen Flachbau ein. Wir kennen uns seit seinem Kampf gegen Karl Mildenberger in Frankfurt im September 1966. Zusammen sitzen wir auf einem hellbraunen Ledersofa im Wohnzimmer. Natürlich weiß er, dass der Hüne aus Houston der erklärte Favorit der Medien ist. Das Monster hat Joe Frazier und Ken Norton, beide Punktesieger über Ali, jeweils in der 2. Runde K.-o.-geschlagen. „Ihr lasst euch beeindrucken, weil er so groß ist, seine Muskeln so mächtig sind, er so hart auf den schweren Sandsack eindrischt. Ich werde die ganze Nacht tanzen.“

Neue Seiltaktik

Auf den Tanz im Ring unter einem blauen Blechdach wartet in dieser schwülen Tropennacht bei über dreißig Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit die ganze Welt vergeblich. „Sports Illustrated“ wählt später die Titelzeile: „How Ali fooled them all“ (Wie Ali alle zum Narren hielt).

Denn Ali tanzt nicht, sondern steht sieben Runden lang am Seil, lehnt sich weit zurück, die Ellenbogen an den Rippen, die Fäuste am Kopf, zwischen den Schutzschilden weit aufgerissene Augen. Die völlig neue Seiltaktik nennt Ali „rope a dope“. Wie ein Roboter drischt Foreman sinn- und pausenlos auf Ali ein. Doch der absorbiert die härtesten Hiebe und höhnt: „Das sind ja nur Tupfer. Sissy punches. Du hast nichts drauf. Nimm dir Zeit, sonst wirst du müde.“ In den Rundenpausen dirigiert Ali die Schlachtgesänge der geschätzten 40.000 im Stadion: „Ali, boma ye.“ Ali, töte ihn. Mobutu ist nur durch ein angestrahltes, überdimensionales Bild anwesend. Aus Sicherheitsgründen schaut sich der Diktator den Kampf in seinem Palast im Fernsehen an.

In der ersten Tischreihe am Ring sitze ich unter den Champions der Sprache. Norman Mailer, der wortgewaltigste unter den Schriftstellern, die den Boxsport lieben, und der 250 Seiten bester Literatur über das Drama schreiben wird: „The Fight“. Ferner Budd Schulberg, Autor der verfilmten Romane „The Harder They Fall“ (mit Humphrey Bogart als korruptem Boxreporter) und „On the Waterfront“ (mit Marlon Brando), sowie George Plimpton, die brillante Feder von „Sports Illustrated“. In dieser prominenten Gesellschaft spüre ich: Es wird sehr schwierig, diesem Naturereignis mit vier Fäusten gerecht zu werden.

Schmetterling und Biene

Gegen Ende der achten Runde verlässt Ali die Seile und schlägt den ermatteten Foreman nach einer Serie von Treffern mit einer finalen Rechten zum Kinn k. o. Einen Sekundenbruchteil nach dem Aus von Ringrichter Zack Clayton steht der Koloss wieder auf den Beinen, guckt verdattert, ist aber restlos erledigt. Später im Hotel tippe ich die Sätze in die Schreibmaschine: „Ali schwebte nicht wie ein Schmetterling und stach nicht wie eine Biene, was bisher sein Gütezeichen war. Er stand in dieser heißen afrikanischen Nacht wie ein Fels und schlug wie ein Pferd.“ In einer Glosse bezeichnete die „Zeit“ die Formulierung als „eine Erfindung des Boxberichterstatters, neben der alle Feuilletonisten-Poesie verblasst“.

Gegen eine Phalanx von Gewehrkolben der Elitesoldaten Mobutus kämpfen sich die hartnäckigsten Reporter zur Kabine durch und finden nach Dundees Gesichtskontrolle Einlass. „Norman, George, Hartmut come in.“ Ali sitzt auf der Massagebank, lächelt schelmisch und flüstert: „Ich habe nichts zu sagen. Ihr habt jetzt viel zu schreiben. Denn ihr müsst euch alle korrigieren.“

Dann ergießt sich in die heraufziehende Morgendämmerung der Regen wie ein Wasserfall über Kinshasa. Eine Katastrophe, wäre das Unwetter während des Kampfes hereingebrochen. Das Verdienst am Warten des Regens beansprucht Muhammad Ali für sich.

Eine Eintrittskarte.
Eine Eintrittskarte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2014)

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