Überraschend, gewaltig und tödlich

bombardiertes Gebäude von Hamas-Tv
bombardiertes Gebäude von Hamas-Tv(c) REUTERS (SUHAIB SALEM)
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Für Verteidigungsminister Barak und Außenministerin Livni bestimmt der Erfolg des Militärschlags ihre politische Zukunft.

Selten saßen die drei Rivalen so einträchtig beisammen: Premier Ehud Olmert, Verteidigungsminister Ehud Barak und Außenministerin Tzipi Livni. Es ist Olmert, der zu den eilig herbeigerufenen Journalisten im schäbigen Konferenzraum des Verteidigungsministeriums am Samstagabend spricht. Stunden nach dem gewaltigen Militärschlag im Gazastreifen mahnt er seine Landsleute zu Geduld, schwört sie auf harte Zeiten ein, warnt vor Gegenschlägen.

Doch Olmert ist ein Mann der Vergangenheit. Er scheidet nach der Wahl im Februar aus dem Amt. Alle blicken auf die zwei Hauptakteure der israelischen Politik, die mit ernsten Mienen neben ihm sitzen: den berechnenden und hochintelligenten Exgeneral Barak von der Arbeitspartei, der die Aktion plante, und Livni, die kühle Diplomatin und mögliche Nachfolgerin Olmerts von der Regierungspartei Kadima. Sie hat für den Angriff internationale Unterstützung organisiert und hält mit einer gut vorbereiteten PR-Schlacht Kritiker zwischen Brüssel und Washington in Schach.

„Genug ist genug“, hat sie stets betont. Israel lasse sich nicht bieten, dass Extremisten aus dem Gazastreifen Raketen auf die Bevölkerung feuern. „Hat irgendjemand wirklich geglaubt, dass Israel sich zurücklehnt und den Raketen zuschaut?“, so einer ihrer Sprecher. Hat die Hamas, die seit eineinhalb Jahren Gaza kontrolliert, vergessen, wie groß die Schlagkraft von Israels Armee sein kann?

Hamas spielte auf Risiko

Tagelang hatten ägyptische und israelische Emissäre versucht, Gespräche über eine neue Waffenruhe zwischen Hamas und Israel einzufädeln. Denn ein Waffengang ist für Politiker im Wahlkampf ein Risiko: Geht er schief, fordert er viele Opfer auf israelischer Seite; ohne viel zu erreichen, ist das Schicksal Baraks und Livnis besiegelt. Doch die Hamas spielte auf Risiko: Sie wollte nur dann einen Deal, wenn Israel die Blockade aufgibt.

Seit Ende der Feuerpause am 19. Dezember trafen 230 Raketen Südisrael. Tödlich verletzt wurde zwar erst gestern ein Mann, doch ein normales Leben ist unmöglich in den Orten um Gaza. Radio und TV interviewten nonstop Eltern aus der Raketenzone. Zeitungen machten mit Bildern von Kindern auf, denen die Panik ins Gesicht geschrieben stand. Die Regierung sah sich mit enormem öffentlichen Druck konfrontiert. Sie stellte der Hamas ein Ultimatum.

Barak wartete aber nicht bis zu dessen Ablauf. Er setzte auf Überraschung. Am Samstagvormittag, als es in Israel träg und ereignislos zuging, ließ er die Luftwaffe gewaltig zuschlagen. „Mein Haus bebte so, dass ich dachte, eine Rakete wäre im Garten eingeschlagen“, erzählt ein Anwohner in Sderot, einen Kilometer von der Grenze zu Gaza entfernt. Gaza wurde von so massiven Explosionen erschüttert, dass sie bis nach Israel die Erde zittern ließen. Von einem nahen Hügel aus konnte er die Rauchschwaden sehen, die in den Himmel stiegen.

„Wir sind dankbar, dass endlich etwas geschieht“, sagt eine Mutter aus Netivot. „Auch wenn wir jetzt im Bunker sitzen.“ Denn schon eine halbe Stunde nach dem ersten Luftangriff mit über 270 Toten kamen wieder Raketen aus Gaza, darunter erstmals eine mit 40 km Reichweite, die einen Außenbezirk der Hafenstadt Aschdod traf.

„Barak ist zurück“, so ein Kommentator in der Tageszeitung Ha'aretz. „Der Mann, der gestern noch Israels Öffentlichkeit an seine Existenz erinnern musste, kehrt in den Ring zurück.“ Barak, der höchstdekorierte Soldat Israels, berüchtigt für seine soziale Inkompetenz, ist in seinem Element.

Barak will alles richtig machen

Er will alles richtig machen, was im Libanonkrieg vor zweieinhalb Jahren schieflief: entschlossen und durchdacht zuschlagen und sich maßvolle Ziele setzen.

Erreicht werden soll eine „neue Realität“ in Gaza, eine Schwächung der Hamas. Er will die Extremistenorganisation nicht stürzen oder „vernichten“, wie sein Vorgänger über die libanesische Hisbollah gesagt hat. Die Hamas soll aber daran erinnert werden, wie hoch der Preis für Angriffe ist. Abschreckung lautet das Stichwort.

Gleichzeitig ist das die vielleicht letzte Gelegenheit, militärisch zu handeln, bevor der neue US-Präsident Barack Obama am 20. Januar sein Amt antritt. Der hat zwar bei seinem Besuch in Sderot während seiner Wahlkampagne Verständnis gezeigt. Doch es ist fraglich, ob er die israelische Reaktion als verhältnismäßig ansieht.

Auch vielen Israelis wird mulmig angesichts der Opferzahl im Gazastreifen. Wütende Racheschwüre hallen durch die arabische Welt. Großspurig hat das palästinensische „Volksbefreiungskomitee“, ein Sammelbecken für militante Palästinenser, geprahlt, man habe 10.000 Raketen, und Israel werde keinen Tag standhalten können, würde es eine Bodenoffensive wagen. Auch neue Entführungen israelischer Soldaten seien geplant, ebenso Selbstmordattentate in Israel.

Der Krieg hat jedenfalls begonnen, und er wird nicht innerhalb von einigen Tagen enden. Niemand weiß, ob Barak und Livni eine Exit-Strategie haben. Denn eines ist sicher: Wiederbesetzen will Gaza niemand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2008)

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