„Die Verräter sind mitten unter uns“

(c) REUTERS (MUHAMMAD HAMED)
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Ägyptens Moslembrüder werfen der Regierung vor, mit Israel zu kollaborieren. Bei den Arabern herrscht Uneinigkeit darüber, wer für die Eskalation verantwortlich ist.

KAIRO. Die israelischen Angriffe auf Gaza sorgen in der arabischen Welt für Aufruhr. Israel werden Kriegsverbrechen vorgeworfen, doch gleichzeitig beschuldigen einige arabische Regierungen die Hamas, mit ihren Raketenangriffen den Anlass für Israels Militäraktion geliefert zu haben.

Dafür geraten diese Regierungen selbst innenpolitisch unter Druck: Demonstrationen in Kairo richteten sich nicht nur gegen Israel, sondern gegen die eigene Regierung – mit dem Vorwurf, Israel grünes Licht für den Schlag gegen Hamas gegeben zu haben.

Leichen in den Wohnzimmern

„Widerliches Massaker“, ein „Kriegsverbrechen“, das sind die Worte, mit denen die meisten Araber das beschreiben, was sie seit dem Wochenende in stündlichen Liveberichten an Leichen, zerstörten Häusern und Verletzten in den Krankenhäusern Gazas in den arabischen Fernsehsendern sehen können. Der Krieg im Gazastreifen findet fast zeitgleich in den arabischen Wohnzimmern statt. Einig sind sich dabei alle über die Unverhältnismäßigkeit des israelischen Angriffs, bei dem allein in den ersten neun Stunden 100 Tonnen Bomben abgeworfen wurden.

„Die Israelis behaupten, das sei die Antwort auf Hamas-Raketen, aber dabei vergessen sie, dass ein ganzes Jahr lang dadurch kein einziger Israeli sein Leben verloren hat. Das erste Mal haben die Raketen einen Mann getötet, nachdem Israels Angriff begonnen hatte“, sagte der palästinensische Abgeordnete Mustafa Bargouti dem arabischen Fernsehsender Al-Jazeera. Doch bei der Frage, wer für die Eskalation verantwortlich sei, scheiden sich die arabischen Geister: Die Hamas sagt, dass ein Waffenstillstand bei gleichzeitiger israelischer Blockade des Gazastreifens kein Dauerzustand sein könne und deswegen nach sechs Monaten gekündigt worden sei.

Grünes Licht aus Kairo?

Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas zeigt jedoch wenig Verständnis für dieses Argument. Er warf seinen politischen Rivalen in der Hamas vor, den Vorwand für den israelischen Angriff geliefert zu haben. „Wir haben ihnen gesagt: ,Bitte lasst uns den Waffenstillstand fortsetzen.‘ Das, was jetzt passiert, hätte verhindert werden können“, sagte Abbas in Kairo nach Gesprächen mit Ägyptens Präsident Hosni Mubarak.

Letzterer gerät selbst immer mehr unter innenpolitischen Druck. Im ägyptischen Parlament kam es zu turbulenten Szenen, als Vertreter der islamistischen Moslembruderschaft der Regierung vorwarfen, Israels Außenministerin Tzipi Livni bei ihrem Besuch vergangene Woche in Kairo grünes Licht für den Angriff gegeben zu haben.

„Der ägyptische Außenminister Abdul Gheit wirkt eher wie der oberste Diplomat Israels“, erklärte Hussein Ibrahim, der Vorsitzende der Fraktion der Moslembrüder. „Die israelische Militäroperation war von Livni in Kairo angekündigt worden und der ägyptische Außenminister hat kein Wort dazu gesagt. Die Verräter, die dieses Verbrechen erlaubt haben, sind unter uns“, kommentiert die unabhängige ägyptische Tageszeitung „El-Dustour“.

Noch schlimmer: In Kairo kursieren Gerüchte, der ägyptische Geheimdienst hätte der Hamas nach dem Treffen mit Livni und kurz vor dem Angriff telefonisch Entwarnung gegeben und die Palästinenserorganisation damit wissentlich falsch informiert.

Tatsächlich befinden sich die moderaten arabischen Regime in der Zwickmühle. In sechs Wochen finden in Israel Wahlen statt, und für die Araber gilt es, auf jeden Fall den rechten israelischen Oppositionskandidaten Benjamin Netanjahu als zukünftigen Verhandlungspartner zu verhindern. Doch eine Unterstützung seiner Gegenkandidatin Livni beinhaltet, ihr Spielraum gegen die Hamas zu geben, hat Netanjahu doch schon seit Tagen genüsslich erklärt, die israelische Regierung würde tatenlos den Hamas-Raketen zusehen.

Aufruf zur dritten Intifada

Von seinem syrischen Exil aus lieferte Hamas-Chef Khaled Mashaal seinen Beitrag zum innerarabischen Streit, indem er nicht nur zu einer dritten Intifada und zu Selbstmordanschlägen aufrief, sondern zu einem verbalen Frontalangriff gegen den ägyptischen Präsidenten ansetzte: Am Tag des Jüngsten Gerichts müsse sich Mubarak für sein Verhalten verantworten.

Für 2.Jänner ist ein arabisches Gipfeltreffen im Golfemirat Katar im Gespräch. „Viel zu spät“, schimpft die Zeitung „El-Dustour“: „In Gaza findet ein Massaker statt, und alle arabischen Regime zögern, etwas zu unternehmen.“

PROTESTE

In der arabischen Welt lösten die israelischen Angriffe erwartungsgemäß massive Proteste auch in den Straßen aus. Ägyptens Präsident Mubarak wird vorgeworfen, er habe den Attacken im Vorfeld seinen Segen erteilt. Die in Israel lebenden Araber haben einen Generalstreik begonnen, die Arabische Liga berief einen Sondergipfel ein. Allerdings gibt es viele mahnende arabische Stimmen, die der Hamas vorwerfen, sie habe Israel einfach zu sehr provoziert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2008)

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