Leitartikel: Barack Obama und der Scherbenhaufen Nahost

Die Militäraktion in Gaza ist für Israel ein Risiko und setzt Washingtons arabische Verbündete unter Druck.

Die Lunte hat schon lange gebrannt: Die sogenannte Waffenruhe zwischen Israel und der Islamistenbewegung Hamas hat diese Bezeichnung seit Wochen nicht mehr verdient. Aus dem von der Hamas kontrollierten Gazastreifen stiegen Raketen auf, schlugen in Israels Grenzstädten ein und trieben Zivilisten in die Schutzräume. Israels Regierung drohte wiederholt, diese Angriffe nicht unbeantwortet zu lassen und blockierte die Grenzübergänge zum Gazastreifen.

Nun ist der „Waffenstillstand“ auch offiziell zu Ende. Die Lunte ist durchgebrannt, das nahöstliche Krisengemisch in die Luft geflogen. Israels Regierung hat die gewaltige Militärmaschinerie des Landes in Bewegung gesetzt, um den Islamisten einen massiven Schlag zu versetzen. Die Planer in Jerusalem wollen damit den Raketenangriffen auf israelische Städte ein Ende bereiten. Und offenbar hoffen sie auch, die politischen Verhältnisse im Gazastreifen verändern zu können. Denn aus Sicht Israels – und der meisten westlichen Staaten – gibt es für eine umfassende Einigung mit den Palästinensern derzeit ein großes Hindernis – und das heißt Hamas.

Die Islamisten stehen in der EU und den USA auf der Liste der Terrororganisationen. In der Vergangenheit gingen viele der besonders blutigen Selbstmordanschläge in Israel auf das Konto der Hamas. Und in ihrer Charta von 1988 bekannte sich die Gruppe zur „Wiedereroberung“ ganz Palästinas und damit zur Zerstörung Israels. Anstelle des „zionistischen Gebildes“ solle ein islamistischer Staat errichtet werden.

Mittlerweile sandten Hamas-Funktionäre zwar Signale aus, das Existenzrecht Israels eventuell anzuerkennen – vorausgesetzt, Israel ziehe sich auf die Grenzen von 1967 zurück. In Jerusalem, Washington und den Hauptstädten der EU-Länder wurden diese Signale jedoch stets als nicht überzeugend genug gewertet.

Mit der Blockade des Gazastreifens konnte die Hamas nicht ausgehebelt werden. Darunter leidet vielmehr vor allem die Zivilbevölkerung. Und ob das „Hindernis“ Hamas nun mit einem Militärschlag so einfach beseitigt werden kann, ist ebenfalls fraglich. Um die Hamas jedoch langfristig aus dem Gazastreifen zu vertreiben, müssten israelische Soldaten das Gebiet erneut dauerhaft besetzen. Doch darauf will sich niemand in Jerusalem einlassen.

Israels Regierung hat sich mit der Militäroperation unter Zugzwang gesetzt. Sie muss der Hamas eine klar erkennbare Niederlage zufügen. Andernfalls würden die Islamisten „Sieg!“ rufen – und in den Augen der arabischen Welt gestärkt aus der Auseinandersetzung hervorgehen.

Auch wenn die militärischen Kapazitäten der Hamas nicht an die der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah heranreichen: Das Gespenst Libanon spukt nach wie vor durch die Köpfe israelischer Politiker und Militärs. Trotz wochenlanger Einsätze haben es Israels Streitkräfte 2006 nicht geschafft, der Hisbollah den entscheidenden Schlag zu versetzen – und damit ein gutes Stück ihres Nimbus der Unbesiegbarkeit eingebüßt. Dieses Risiko ist der erfahrene Soldat Ehud Barak bereit einzugehen. Israels Verteidigungsminister will so wie Außenministerin Tzipi Livni Stärke zeigen und sich nicht von der rechten Opposition vorwerfen lassen, angesichts der Raketenangriffe untätig zu bleiben – gerade jetzt, wenige Wochen vor der Wahl.

Durch die Lage im Gazastreifen geraten aber nicht nur Israels Politiker unter Druck. Die „arabische Straße“ tobt wegen der Militäraktion. Und die Wut richtet sich nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen die eigenen Regierungen. Je länger die Angriffe anhalten, desto mehr verstörende Fernsehbilder werden in die arabischen Wohnzimmer getragen werden. Bilder toter Zivilisten, die bei Kämpfen in einem dicht besiedelten Gebiet wie dem Gazastreifen nicht ausbleiben können.

Vor allem in Ägypten rumort es. Präsident Hosni Mubarak muss sich den Vorwurf gefallen lassen, mit Israel zu „kollaborieren“ und die Brüder im Gazastreifen auf der anderen Seite der Grenze im Stich zu lassen. Vor allem Ägyptens islamistische Opposition hat sich die Sache der Palästinenser auf die Fahnen geheftet – teils freilich nur als Vorwand, um mit einem emotional besetzten Thema gegen den verhassten Machthaber Mubarak zu mobilisieren.

Befreundete Regime, die unter Druck geraten – wie in Ägypten, kein Ende des israelisch-palästinensischen Konflikts: Der künftige US-Präsident Barack Obama hat in Nahost viel von dem aufzuräumen, was die Bush-Regierung liegen gelassen hat. Und die Zeit drängt. Denn viele Lunten brennen.

Bericht, Analysen Seiten 1, 2


wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2008)

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