Die Ausländerlüge von der dritten Generation

Die österreichischen Integrationspolitiker kennen de facto keine dritte Generation. Strache-Wähler schon.

Das Positive zu Beginn: Österreich hat die beste Integrationspolitik der Welt, es gibt hier nämlich de facto keine Probleme im Zusammenleben zwischen Österreichern und Mitbürgern der sogenannten zweiten und dritten Generation. Die kleinen Eingewöhnungsschwierigkeiten der ausländischen Einwanderer zu Beginn ihres Aufenthalts in Österreich lösen sich mit der Zeit von selbst; spätestens, wenn sie österreichische Staatsbürger werden, ist alles in Butter. Wer das nicht versteht, wählt Heinz-Christian Strache oder hilft ihm anderweitig.

Die schlechte Nachricht: Das ist ein Märchen, das vielleicht nicht genau so, aber nicht weniger weltfremd und jedenfalls sehr effizient jahrelang vom offiziellen Österreich und speziell von den Spitzenrepräsentanten der schönen Stadt Wien erzählt wird.

Oder wie lässt sich anders erklären, dass es offiziell kein Ausländerproblem in Wiens Gemeindebauten gibt, obwohl deren Bewohner ein solches wahrnehmen? Wo doch kaum Ausländer eine Notfallswohnung bekommen? (Das wäre nämlich auch noch immer Sinn und Zweck der aus Steuergeld finanzierten Gemeindebauten: Sozial Bedürftigen zu helfen, was auf Ausländer in Österreich häufig zutrifft.) Die Antwort ist einfach: Weil es offiziell offenbar keine Zahlen (oder Planung?) gibt, wie viele Bewohner in einem Gemeindebau leben, die schon längere Zeit einen österreichischen Pass haben und etwa in der Türkei oder im ehemaligen Jugoslawien geboren wurden. Deren täglich gesprochene Muttersprache noch immer nicht Deutsch ist, selbst wenn sie es am Arbeitsplatz oder in der Schule anwenden können. Deren Kindererziehung sich deutlich von der der schon lange dort wohnenden Wiener unterscheidet. Deren kosmopolitischer Ansatz nicht dem typischen Junggrünen in Wien-Neubau entspricht. Oder um es ganz einfach zu formulieren: Die für Nachbarn mit dem nicht immer goldenen Wiener Herz einfach noch immer „Ausländer“ sind. So entstehen Probleme, die seit der Abschaffung der Hausbesorger unter Schwarz-Blau von niemandem mehr beobachtet und in der Wohngemeinschaft angesprochen werden. (Siehe auch „Quergeschrieben“ von Sybille Hamann, Seite 26.)

Aber dieses Problem gibt es im Rathaussprech nicht, es gibt nur falsches Wahlverhalten, wenn sich die Frustration der sich in der Minderzahl Glaubenden im Kreuz für die FPÖ entlädt. Deren Thema immer die Ausländer sind, egal, worüber sich Strache gerade sonst noch heiser redet.

Ähnlich leichtes Spiel hat der Profiteur bei der Sicherheit: Da können sich SPÖ und ÖVP noch so mit „Mehr Polizisten!“-Rufen überbieten. Wenn in einer Stadt weder ein Polizist noch ein amtsführender Politiker einräumt, dass es ein Gewaltproblem mit jugendlichen Ausländern und/oder mit jungen Neoösterreichern gibt, deren Perspektivlosigkeit in ihrer privaten, aber vor allem auch in ihrer schulischen Ausbildung und Erziehung zu suchen ist, haben wir das nächste Problem. Offizielle Bestätigungen gibt es einfach nicht. Versucht man als Journalist, Erfahrungsberichte junger Wiener über alltägliche Bedrohungen und kleine Räubereien wie abgenommene Mobiltelefone an Zahlen festzumachen, heißt es oft nur: statistisch nicht relevant. Was den betroffenen Jugendlichen – und das sind eben nicht nur die Opfer, sondern alle Bekannten, denen sie das erzählen – suggeriert: Entweder sie verbreiten ausländerfeindliche Verschwörungstheorien oder/und sie zählen einfach nicht.

Am Ende der Lügenmärchenkette müssen die Strache-Blauen die Unzufriedenen nur einsammeln und können dabei noch schnell den Rest ihres Weltbildes aus altneudeutschem Schutzbedürfnis und militanter Intoleranz anbringen. An echter Integration der in Österreich lebenden Ausländer, Bald-nicht-mehr-Ausländer und Exausländer liegt ihnen am allerwenigsten, sie würden ja dann die Unterstützung verlieren. Dass Wiens Bürgermeister Michael Häupl schon einmal meint, einem türkischstämmigen Papa die Ohren abreißen zu wollen, wenn der seine Tochter nicht in die Schule schicken will, lässt zwar auf zartes Problembewusstsein schließen. Vielleicht könnte er ein ähnliches, nicht ganz so körperbetontes Verhalten bei seinen Spitzenbeamten anwenden, die Integration nicht als Bring- und Holschuld verstanden, sondern schöngeredet haben. Dass Wiens Integrationsstadträtin ihre Mittel voll auf die Begleitung der Einwanderer setzt, ist nur der halbe Weg. Diese Betreuung muss aber bei den nächsten Generationen weitergehen. Verstärkte Bildungs- und Arbeitsmarktförderungen – am besten auch für betroffene Unternehmer– sind unerlässlich. Sonst ist es nicht die zweite oder dritte Generation, sondern die verlorene.

Die dritte Generation, Beginn der Serie Seite 9

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2009)

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